Die Erde beschenken

Die Zen Lehrerin Diane Eshin Rizzetto hat ein Buch über Hoffnung geschrieben, „Deep Hope“. Der Untertitel lautet: Zen Anleitung, um standhaft zu bleiben, wenn die Welt hoffnungslos scheint. In der Einleitung denkt sie darüber nach, dass es nicht einfach ist, sich dem Wissen zu entziehen, in welcher Weise Menschen andere Menschen leiden lassen. Sie spricht von Grausamkeit, Schmerz, Unsicherheit.

Ja, denke ich, ja. Und frage mich, warum ich ungehalten werde, wenn ich diese immer gleich Litanei lese. Kann ich Gutes und Hilfreiches in die Welt bringen (das hat die Autorin mit dem Buch auf alle Fälle getan), ohne gebetsmühlenartig darauf hinzuweisen, wie furchtbar alles ist? Meine These: immer, wenn ich den Mund aufmache und die Entsetzlichkeiten beklage, eröffne ich eine Bühne für das, von dem ich nicht möchte, dass es meine Gedanken beherrscht und unser Leben bestimmt.

Ja, ich bin immer wieder aufgefordert, mich zu verhalten zu dem, was mir die Nachrichten vor die Füße spülen. Aber muss ich damit viel Zeit verbringen? Muss ich mich regelmäßig sorgen? Und wortreich die Zeiten beklagen?

In meinem Bundesland ist bald Wahl. Die Grünen plakatieren – ich sehe die große Plakatwand jedes Mal, wenn ich in die nächste Stadt fahre – mit dem Slogan: „Die Zeiten sind hart.“ Der Satz geht dann noch weiter. Nur ich erinnere mich nicht an sein Ende. Weil ich mich ein bisschen aufregen muss über die Angstmaschine, die nun auch von dieser Farbe im Wahlkampf bedient wird. Irgendjemand hat auf das Plakat an passender Stelle „AfD“ geschrieben.

„Die Zeiten“ sind nicht hart. Die Zeiten sind angemessen. Wir werden gezwungen, über unsere Ressourcenhaushaltung nachzudenken. Energie bekommt einen hohen Preis, weil sie nicht mehr unendlich verfügbar ist. Tatsächlich war sie auch schon vor dem kriegerischen Konflikt in unserer Nähe nicht unendlich verfügbar. Wir haben nur so getan, als wäre dies der Fall.

Maja Göpel schreibt in ihrem Buch „Unsere Welt neu denken“ von einer Meta-Studie aus dem Jahr 2014, die die Dienstleistungen der Natur mit dem wirtschaftlichen Wert beziffert, den sie für die Menschen haben. Zu den wirtschaftlichen Dienstleistungen gehört nicht nur das Bestäuben der Pflanzen, die uns ernähren, durch Insekten. Sondern auch die Säuberung und Zirkulation von Wasser, Luft und Nährstoffen, Schutz gegen Stürme und Überschwemmungen und der Erholungswert von Naturräumen.

Bis 2007 erbot die Natur Dienstleistungen in Höhe von jährlich 125 bis 145 Billionen Dollar. Durch die Art des menschlichen Wirtschaftens wurden, ebenfalls bis 2007, jährlich Ökosystemdienstleistungen von etwa 4,3 bis 20,1 Billion Dollar zerstört.

Eine Billion hat zwölf Nullen. Ich schreib das nicht hin, damit Leser*innen Schnappatmung bekommen. Sondern als Möglichkeit, die Perspektive zu verändern.

Mit einer Freundin habe ich darüber nachgedacht, warum jetzt plötzlich alle Energie sparen wollen, wo wir doch seit Jahrzehnten wissen, dass uns die Ökosysteme, die unser Leben und Überleben ermöglichen, um die Ohren fliegen werden, wenn wir nicht anders mit den Ressourcen der Erde umgehen.

Die Freundin meinte, Energie sei bisher nicht teuer genug gewesen. Menschen würden erst Konsequenzen ziehen, wenn es sie genug koste. Ich erinnere mich, in einer Dokumentarsendung einmal den Satz gehört zu haben, dass wir zwar alle wissen oder wissen könnten, wie es um die Belastung der Erde bestellt sei, dass es nur keine*r glaube, was die drohenden (und berechenbaren) Konsequenzen betrifft.

Wenn wir es im Geldbeutel spüren, sind wir offensichtlich am ehesten bereit, das zu glauben, was wir faktisch wissen, und im ökologisch besten Sinn den Gürtel enger zu schnallen. Mir ist nicht ganz klar, warum ich nicht schon lange vor Maja Göpels Buch von der Bezifferbarkeit der Dienstleistungen der Erde wusste. Warum wird das im Wahlkampf nicht plakatiert? „Mutter Erde schenkt uns jährlich 125.000.000.000.000 Dollar. Jetzt haben wir endlich die Chance, ernsthaft am Erhalt ihrer Ökosysteme mitzuwirken und die Klimaschutzziele zu erreichen.“

Ich weiß, nicht wenige Menschen sind hart getroffen von den gestiegenen Energiekosten. Das liegt auch daran, dass wir in einem System leben, das wichtige und harte Arbeit mit Dumpinglöhnen bezahlt. Diese Menschen haben wenig Möglichkeit, die Perspektive zu ändern. Für sie geht es ums Durchkommen.

Doch alle andere können anfangen, neu zu denken. Sie können sich zum Beispiel überlegen, was sie mit ihrer krisenbedingten Ersparnis der (Einkommen)Steuer anstellen, wenn sie auf eine solche Ersparnis nicht angewiesen sind.

Yvon Chouinard, der bisherige Eigentümer von Patagonia, hat vor ein paar Tagen sein Unternehmen der Erde geschenkt. Das ist kein Witz. Das ist ein drei Milliarden Dollar Geschenk. Seit der Gründung vor fast 50 Jahren verfolgt das Unternehmen nachhaltige Ziele und setzt höchste ökologische und ethische Standards.

“Um ehrlich zu sein, es gab keine guten Optionen. Also haben wir unsere eigene entwickelt.”

Chouinard war immer ein Neudenker. Die jüngste radikale Entscheidung erklärt er in einem offenen Brief. Welche Lösungen sie erörterten und verwarfen. Warum nur das Verschenken sicherstellte, dass auch die Angestellten von auf der ganzen Welt weiterhin ihre Arbeitsplätze behalten würden.

Der Brief beginnt mit den Sätzen:

„Die Erde ist ab sofort unsere einzige Anteilseignerin. Wenn wir auf einen lebenswerten Planeten hoffen wollen – geschweige denn auf ein prosperierendes Unternehmen – müssen wir mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen alles tun, was wir können.“

Das ist Neudenken in großem Stil. Meine Einladung zum Neudenken backt kleinere Brötchen, ist aber nicht weniger anspruchsvoll. Um Geld geht es dabei nicht. Wer es sich leisten kann, mag sinnvolle Möglichkeiten finden, finanzielle Ressourcen in Geschenke an die Gemeinschaft zu verwandeln.

Für mich heißt Neudenken: nicht in den Chor der Klagen einstimmen. Der Angst keinen Raum geben. Mit den persönlich verfügbaren Ressourcen eigene Optionen entwickeln. Balance ist das Zauberwort der Stunde. Wie bringe ich mich selbst in Balance? Wie kann ich meine nächsten und näheren Menschen unterstützen, in Balance zu sein? Vielleicht bin ich weniger kritiksüchtig. Vielleicht rede ich weniger abwertend. Vielleicht suche ich nach dem guten Kern.

Sich selbst in Balance zu bringen, hilft der Balance im Großen. Wie sagt Caroline Myss so schön:

What is in one, is in the whole.

Chouinards Geschenk an die Erde rettet allein nicht das Klima. Doch wenn ein erfolgreiches Unternehmen kompromisslos in die Waagschale geworfen wird, hat das Auswirkungen auf unser Denken über das Credo der Wachstums- und Ausbeutungsökonomie. Ist diese Kühnheit nicht unglaublich inspirierend?

Sich an guten Nachrichten und Beispielen erfreuen, ist generell förderlich für die eigenen Balance. Der TV Sender Arte hilft dabei zum Beispiel mit der Sendereihe „Gute Nachrichten vom Planeten“, die von Vorbildern des Gelingens erzählt.

Ich bin übrigens sehr hoffnungsfroh und zuversichtlich. Natürlich habe ich keine Ahnung, wie es ausgeht. Gerade weil wir alle keine Ahnung haben, wie es ausgeht, haben wir die Wahl, mit den uns jeweils persönlich zur Verfügung stehenden Ressourcen uns selbst und andere freudig und kühn zu inspirieren.

Woraus bestehen deine ganz eigenen Ressourcen? Auf welche Weise kannst du inspirieren? Schreib eine Nachricht in den Kommentar!

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