In einem Kaninchenloch

In der zweiten Nacht des Neuen Jahres schlafe ich schlecht. Es ist mild, die Temperatur ist um 20 Grad gestiegen. Durchs offene Fenster höre ich die Windräder vom Dorfrand, sie klingen wie Schnellzüge.

Nicht schlafen zu können gibt mir Gelegenheit, auf meinen Atem zu achten oder an etwas Schönes zu denken. Seitdem ich mich vor ein paar Jahren mit der Marientradition und dem Rosenkranz beschäftigt habe, bete ich manchmal in solchen Nächten. Es ist erstaunlich, wie zuverlässig das autonome Nervensystem auf ein altes Ritual reagiert. Ich kann immer noch nicht einschlafen, doch entspanne ich mich mehr und mehr; und denke, es ist auch wurscht. Ich muss morgen keine schweren Maschinen führen oder superverantwortlichen Tätigkeiten nachgehen. Ich könnte nach meinem Morgenkaffee und zu jeder anderen Tageszeit zurück ins Bett. Ich habe keine Termine.

Trotzdem habe ich Arbeitsstress.

Ich kann mich gerade nicht so gut leiden. Nein, ich bin nicht unfreundlich mit mir. Ich bin nur enttäuscht, dass ich mich schwer tue, vom alten Jahr nach 2022 zu kommen. In der Weise, die ich mir ausgedacht hatte.

Stell dir vor, du willst zu Punkt A, deine Schuhe stecken jedoch an Punkt B fest. Es ist gerade auch nicht so einfach, die Schuhe auszuziehen und ohne sie weiterzulaufen. Also ein auf der Stelle verharren, obwohl sich diese Stelle blöd anfühlt. Warum? Weil du entschlossen bist, die Stelle mit dem Etikett „falsche Stelle“ zu versehen. Aus der Diskrepanz zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand entsteht Druck. Bemerkenswert dabei ist, dass kein Mensch im Außen irgendwelche Vorgaben macht. Die Vorgaben machst du dir selbst.

Wir können immer wieder Weltmeister*innen sein im Gräben aufreißen zwischen dem Ist- und dem Sollzustand. Manche Menschen bleiben ein halbes Leben in diesem Spannungsfeld stecken.

Beim Neujahrsgeburtstag eines Freundes sitzen wir mit wenigen Leuten auf Abstand in einem großen Raum. Ein Gast erzählt, ihre erwachsene Tochter, die große Schwierigkeiten habe, die Ordnung in ihrem Haushalt aufrecht zu erhalten, sei mit einer bestimmten Form von ADHS diagnostiziert worden. Vielleicht habe ich auch so was? Irgendeinen inneren Defekt, der, richtig eingestellt, Griesgrämigkeit, Unruhe und die gelegentliche Unfreude einfach nicht mehr hervorbringt?  

Später schlägt eine Freundin Vitamin D vor.

Nach meinen Erfahrungen mit leidenden Menschen (und einem leidenden Selbst) gibt es keine Monokausalitäten für innere Zustände. Abgesehen von Beinbruch und Blinddarmgeschichten sind wir ein komplexes Wunderwerk an Bedingungen und Zusammenhängen. (Aber natürlich werde ich Vitamin D nehmen!)  Ursachenforschung kann bildend sein. Eine Lösung mit Veränderung im Schlepptau kommt regelmäßig anders zustande.

Es gibt keinen irreführenderen Satz als den, der mit den Worten beginnt: „Ich bin so, weil….“.

Ich versuche mich mehr zu mögen in meinem unergründlichen So-Sein. Zum Beispiel indem ich gar keine andere sein möchte. Und meine Schuhe stecken lasse.

Wie ich herauskomme aus zwischen A und B?

Vielleicht, indem ich in ein Kaninchen Loch falle und auf der Rückseite des Spiegels lande, der mir alle Antworten vorliest?

Eine zauberhafte Kollegin schreibt mir, der Winter habe erst am 21.12. angefangen. Was Neues sei noch länger nicht dran. Rückzug und Kräfte sammeln ist ihre Verschreibung. Welche Erleichterung: ich muss also gar nicht da sein, wo ich mich hin wähnte. Die Narzissen etc. sind auch noch nicht.

Als nächstes erinnere ich mich an einen Instagram Post der großartigen Dichterin Jacqueline Suskin die u.a. das Buch „Every Day is a Poem” in die Welt gebracht hat. Vor ein paar Tagen kündigte sie ihren Winterschlaf-Rückzug bis Februar an.

Schließlich denke ich an meine Jugend in Bayern, wo die Geschäftigkeiten ihren relativen Stillstand bis zum Heiligdreikönigtag ausdehnen. Eine tiefer gelegte Welt des noch nicht Müssen.

Am Ende sitze ich wieder am Schreibtisch, klaube meine Gedanken zusammen für den 1. Freitagsbrief in 2022 und bin viel zufriedener.

Ja, natürlich möchte ich alles auf die Reihe kriegen. Newsletter schreiben, die nächste Auf der Spur der Freude Reise unters Volk bringen, die am 2. März beginnen wird (kann tatsächlich lebensverändernde Nebenwirkungen haben) und einmal im Monat zum Tee im Palast der Freude einladen. Noch mehr als das alles möchte ich mein Freude-Buch fertig schreiben.

Doch ist weder mir noch der Welt geholfen, wenn ich über diese ganzen Unzähligkeiten die Freude aus den Augen verliere.

Erzbischof Tutu, der im Freitagsbrief von Ende Mai 2021 auch vorkommt, ist am 2. Weihnachtstag gestorben. Von ihm stammt der Satz:

Tu dein kleines Bisschen Gutes, wo du gerade bist; es sind die
kleinen Teilchen Gutes, die,
zusammengesetzt, die Welt überfluten.

Das beste Bisschen Gute, das mir einfällt, ist: Freudefunken versprühen.

Warum?

Für mich ist das Wort des Jahres 2022 „Wir“.

Verbindungen erneuern, Verbindungen knüpfen, bei den kleinsten Gelegenheiten immer wieder in Verbindung gehen.

Das „Wir“ meint dabei nicht nur Familie, Freund*innen, Kolleginn*en und die restliche Menschheit. Sondern auch Steine, Ameisen, Raben und die Nacktschnecke, die über die Glasfenstereinsätze der Kellertür gleitet. Plus die Fauna und Flora sämtlicher Kontinente.

Wir-Geschichten sind oft auch Gutes-Tun-Geschichten.

Insgesamt ein ziemlich großes Spektrum an Möglichkeiten, dort ein kleines bisschen Gutes zu tun, wo du dich gerade aufhältst.

Was ist das beste Bisschen Gutes, das dir spontan einfällt?

Wo und wie kannst du es in die Welt bringen?

Stell dir vor, ein paar zehntausend Menschen richten sich für ein Jahr danach aus, dort, wo sie sind, ihr Teilchen Gutes in die Welt zu bringen.

Mein Plan für 2022: Wir-Geschichten sammeln und die Teilchen Gutes, von denen ich erfahre, um darüber zu schreiben.

Also, schreib mir über dein Wir und/oder dein Wort des Jahres 2022 und dein kleines Bisschen Gutes! Und schreib mir gleichzeitig, ob ich darüber schreiben darf. Anonym oder mit deinem Namen.

Was sind meine Freudefunkenbeiträge zum Wir?

Als nächstes: Tee im Freudepalast. Der Freudepalast wird zukünftig seine Pforten jeden 3. Donnerstag im Monat öffnen.

Außerdem, wenn du dich der Freuderevolution anschließen und nachhaltig lernen möchtest, immer wieder Freudeaspekte in dein Leben einzuladen, ganz unabhängig von den äußeren Umständen: reise 7 Wochen Auf der Spur der Freude  – (beginnend Aschermittwoch bis zum Ende der Fastenzeit).  Ich habe den Online Kurs überarbeitet und erweitert, er schließt persönliche Betreuung und 3 Zoom Treffen ein.

Zum nächsten Freudepalast am Donnerstag, dem 20. Januar um 18.30 Uhr kannst du dich hier anmelden und an deinen kostenlosen Palastschlüssel gelangen.

Wenn du dich für eine Reise auf der Spur der Freude interessierst, hier kannst du mehr erfahren.

Ich wünsche uns allen ein freudiges neues Jahr!

Und freue mich, von dir zu hören oder dir persönlich-virtuell zu begegnen.

Herzlich

Eva Scheller