Wir stehen in der Nähe meiner Gartenpforte und sprechen weiter, als es dunkel wird, weil die Straßenlaternen im Dorf um 21.30 Uhr verlöschen.
Meine Freundin hat mit anderen Unterstützer*innen bei klirrender Kälte einen Tag lang Wahlplakate im Landkreis aufgehängt. Die wurden mittlerweile fast alle heruntergerissen. An ihrer Stelle wuchs ein Schilderwald der Partei, die wir beide für jenseits des demokratischen Diskurses halten. Doch auch diese wurden in der Zwischenzeit in kleinere Einzelteile zerlegt.
Ich berichte davon und füge hinzu, früher hätte ich mich darüber gefreut. Heute kann ich mich nicht mehr freuen, egal, wer die Regeln verletzt.
Wahlplakate zu zerstören ist Sachbeschädigung. Sachbeschädigung ist ein Straftatbestand.
Ich als Juristin wünsche mir, es gäbe darüber hinaus ein Delikt wie „rechtswidriger Eingriff in den Ablauf freier Wahlen“, und weiß selber, das würde nichts ändern. Und fühle, als ich dem Gedanken folge, den dringenden Wunsch nach einem harten Arm des Gesetzes in mir aufsteigen.
Die Freundin erzählt, gemäß der Auskunft einer Erhebungsstelle, die solche Zwischenfälle statistisch auswertet, seien in diesem Jahr bislang ungewöhnlich viele Wahlplakate zerstört wurden, nicht nur in unserem Landkreis.
Wir sprechen über Zuhören als Kunst, die in den wenigsten Debatten, vielleicht überhaupt nicht mehr im gesellschaftspolitischen Kontext gepflegt wird?
Ein paar Tage später höre ich im Autoradio eine Sendung über die Frage, wo Rechtsextremismus beginnt, wie eine Haltung in einer „Grauzone“ zu einer demokratiefeindlichen Meinung führen und wie beides erkannt werden kann.
Der Meinungsforscher beobachtet eine Trendumkehr. Früher waren rechtsextreme Einstellungen häufiger unter den älteren Bürger*innen vertreten. Nun sind es junge Menschen, vor allem Männer, die sich zum Rechtsextremismus bekennen.
Die Zahlen über die Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts lassen mich hart schlucken.
Rechthabenmüssen folgt der Logik des Krieges. Andere dafür hassen, dass sie anders sind und anders denken, folgt der Logik des Krieges. Der Ruf nach dem harten Arm des Gesetzes folgt der Logik des Krieges. Schreien folgt der Logik des Krieges.
Während eines weiteren Abendspaziergangs erzählt die Freundin, bei der Demonstration in der Kreisstadt habe der Schwarze Block einen exquisiten USB Lautsprecher zur musikalischen Beschallung und außerdem eine Seifenblasenkanone mit sich geführt. Beides sei ausgiebig eingesetzt worden.
Wir lachen.
Gewalt gegen Sachen folgt der Logik des Krieges.
Gewalt gegen Menschen ist Krieg.
Und nein, ich habe keine Lösung. Ich weiß auch nicht, was wir alternativ tun könnten, wenn ein Staat seinen Nachbarstadt überfällt oder Geisel genommen werden.
Zur Logik des Krieges gehört ihre Unausweichlichkeit. Die Logik des Krieges ist linear-patriarchal. Sie kennt nur Entweder-oder, Schwarz-weiß, Wir gegen die.
Die unausweichliche Logik des Krieges ist eine Hypothese. Sie wird als bare Münze gehandelt, weil wir nie wirklich angefangen haben, die Logik des Krieges durch andere Denkmodelle in Frage zu stellen.
Die Logik des Krieges diskreditiert andere Denkmodelle, weil sie keine Lösung aufweisen können, die in die Logik des Krieges passt.
Ist Gleichgewicht des Schreckens eine Lösung?
Ist die Erweiterung der Waffenarsenale, bis am Ende die meisten tot sind und die, die übrig bleiben, gewinnen, eine Lösung?
Die Logik des Krieges kennt keine Lösung außer den Krieg.
Die Logik der Menschlichkeit hat keinen Platz in der Logik des Krieges.
Die Logik der Menschlichkeit ist unsere Alternative.
Und nein, sie ist (noch) keine Lösung. (Oder vielleicht doch?)
Und ja, die Pazifismus Forschung in Deutschland steckt die letzten zwanzig Jahre in ihren Babyschuhen fest.
Die Logik der Menschlichkeit hat keine Lobby, weil sie ans Eingemachte geht. Sie leuchtet aus, in welcher Weise unsere westlichen Systeme, die auf Kapitalakkumulierung gebaut sind, den Menschen aus ihrem Blickfeld verloren haben.
Wo das Wohlergehen von Menschen, egal welchen Alters und welcher Lebensumstände, wirtschaftlichen Interessen nachgeordnet ist, ist die Frage nach der Logik der Menschlichkeit eine brandgefährliche Frage.
Ich schreibe seit Jahren auch deshalb über die Möglichkeiten neuen Denkens, weil ich davon überzeugt bin, der erste Weg führt immer nach innen.
Wenn wir nicht gut für unsere autonomen Nervensysteme sorgen, lassen wir uns kapern.
Aufgrund der eigenen Triggerpunkt sind wir anfällig für die Logik des Krieges.
Wir positionieren uns – denn natürlich müssen wir uns positionieren, natürlich müssen wir handeln – nicht aus einer Haltung des Friedens, sondern aus einer Haltung heraus, die die Logik des Krieges umsetzt.
Veränderung beginnt erst in dem Moment, in dem wir aufhören, der Logik des Krieges in unserer Alltäglichkeit zu folgen.
Veränderung liegt in dem Feld jenseits von Dualität. Ich sehe das als die große Aufgabe des 21. Jahrhunderts, diese Räume jenseits von Dualität zu erschließen.
Je mehr es gelingt, gesellschaftliche Konzepte in Frage zu stellen und abzustreifen, je tiefer wir der eigenen Verletztheit und damit der eigenen Menschlichkeit begegnen, desto weniger können wir schreien, ausgrenzen, schlecht über andere sprechen, um jeden Preis gewinnen wollen.
„Inner Education“ – der Weg nach innen – bedeutet, immer mehr über die eigenen Verhaltensmuster und Vorurteile zu lernen. Zu lernen, wie wir uns selbst befrieden.
Der Chemienobelpreisträger 1977 Ilya Prigogine, der sich im Lauf seiner Karriere auch der Philosophie zuwandte und über Ordnung und Chaos forschte, prägte die Aussage:
Wenn ein System weit vom Gleichgewicht entfernt ist, haben kleine Inseln der Kohärenz in einem Meer von Chaos die Fähigkeit, das gesamte System in eine höhere Ordnung zu bringen.
Das wäre doch ein Ansatz für die Logik der Menschlichkeit: Jede Person, die die Möglichkeit dazu hat, sorgt dafür, eine kleine Insel der Kohärenz in einem Meer von Chaos zu sein.
Wir wissen aufgrund des Gesetzes der Resonanz: Angst steckt an, Gleichmut steckt an, Liebe steckt an.
Deshalb, in der Perspektive zukünftiger Veränderungsmöglichkeiten: Warum erhöhen wir nicht die Etats der Bildungseinrichtungen, damit jede Person ganz individuell und maßgeschneidert die Grundlagen dafür erlernen kann, eine Insel der Kohärenz zu werden?
Und, bis es so weit ist, fangen wir gleich, im Rahmen der Möglichkeiten, die wir vorfinden, bei uns selber an.
PS: Wenn dich mein Text inspiriert hat, und du etwas zurückgeben möchtest:
Du kannst mich auf einen Kaffee einladen über meine virtuelle Kaffeekasse
auf Kofi-com. Danke! #freundlicheökonomie
Möchtest du dich regelmäßig von mir inspirieren lassen?
Dann abonniere die Neuraumpalast News, den Newsletter, der jeden Monat am 15.
in deinen virtuellen Postkasten flattert.