Ich radle durch abgeerntete Felder. Die Sonne wärmt mir den Rücken. Die Krone einer Eiche spendet prächtig ausladend Schatten. Sandbirken lassen ihr hängenden Zweige sanft von der Mittagsbrise bewegen.
An manchen Stellen ist der Teerbelag des schmalen Wirtschaftswegs aufgebrochen und aufgeworfen, meine Räder hoppeln über Berg und Tal. Heu, in rechteckige Ballen, gepresst, terrassenförmig gestapelt. Dort lege ich mich ins Gras. Grillen zirpen, Schmetterlinge gaukeln, Grashüpfer fliehen.
Ein perfekter Spätsommertag. Die Welt atmet ein und aus und ich höre ihr dabei zu. Noch ist der Mais nicht eingebracht. Durch den Regen der letzten Wochen hält sich das Grün länger als in den Vorjahren.
Es ist mittaglich still.
Als ich wieder zu Hause bin und von drinnen nach draußen blicke, sehe ich, wie golden sich das Licht in den Nachmittag hinein gewandelt hat. Ein perfekter Tag. Ein Innenhalten, bevor ein weiteres Mal die Erntemaschinerie angeworfen wird. Dann kommt schon bald die Zeitumstellung und, wenn wir Glück haben, schenkt uns der Oktober ein paar leuchtende Tage.
Vor ein paar Wochen sah ich im Kino den Film „Oppenheimer“, den der Regisseur Christopher Nolan auf Grundlage der Biographie „J. Robert Oppenheimer“ von Kai Bird und Martin J. Sherwin gedreht hat.
Ich kam etwas zerrupft wieder heraus. Gerade war der 78. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki vorbei.
Oppenheimer (1904 – 1967) hat die Atombombe zwar nicht im Alleingang entwickelt, doch mit seiner Grundlagenforschung und als Leiter des „Manhatten Projects“ viel dazu beigetragen, dass sie am Ende in der Welt war.
Im Film wird Prometheus erwähnt, der den Götter das Feuer stahl, um es den Menschen zu bringen. Er tat dies, obwohl er die Rache der Götter fürchten musste; und tatsächlich fiel die Strafe schrecklich aus. Zeus ließ Prometheus an einen Felsen schmieden, täglich kam ein Adler, fraß die Leber des Gefangenen und täglich wuchs die Leber nach. Der Schmiedegott Hephaistos, der den Befehl des Zeus ausführte, empfand zwar Mitgefühl, konnte sich allerdings Zeus nicht widersetzen.
Es hat Konsequenzen, die heilige Ordnung des Lebens zu stören, die von allen zu tragen sind.
Im englischen Original heißt die Biographie „American Prometheus“. Wie Prometheus leidet Oppenheimer an seinem Tun. Nach dem Krieg setzt er sich für Rüstungskontrolle ein.
„Was sollen wir von einer Kultur halten, die Ethik stets als essentiellen Teil des menschlichen Lebens betrachtet hat, die dann [aber] über die Möglichkeit, alles Leben auszulöschen, nicht anders sprechen zu können meint als in begriffen der Sachlogik und der Spieltheorie?“,
fragt er Kollegen, Politiker und das militärische Establishment, die die Verteidigung der USA vor allem auf Atomwaffen stützen wollen.
Das Feuer wieder einzufangen, ein Ding der Unmöglichkeit. Als hätte er nicht wissen können, was die Bombe im Stande wäre, anzurichten, als hätte er nicht wissen können, dass die politischen und militärischen Führer sie einsetzen würden, wäre sie erst einmal da.
Ich mache mir ein paar Notizen zum Film, um meine Erschütterung zu strukturieren. Was mich am stärksten packte: Zeugin zu sein des unbedingten Willens, den Gegner militärisch zu übertrumpfen und schließlich zu vernichten. Um jeden Preis. Um jeden Preis!
Besonders interessant an dieser absoluten Hingabe, die immer wieder befeuert wird durch die Angst, Hitler könne „die Bombe“ zuerst bekommen, ist eine Tatsache, auf die Robert Jungk in seinem bereits 1956 erschienen Buch „Heller als tausend Sonnen“ hinweist:
Die deutschen Kernphysiker Heisenberg und von Weizsäcker teilten den Nazis mit, das würde wohl nichts mit der Atombombe. Jungks Kommentar:
Es scheint paradox, daß die in einer säbelrasselnden Diktatur lebenden deutschen Kernphysiker, der Stimme ihres Gewissens folgend, den Bau von Atomwaffen verhindern wollten, während ihre Berufskollegen in den Demokratien, die keinen Zwang zu befürchten hatten, mit ganz wenigen Ausnahmen, sich mit aller Kraft und Energie für die neue Waffe einsetzen.
Die „Zeitschrift für Praktische Philosophie“ veröffentlicht Anfang 2023 einen „Call for Papers“ mit der Aufgabenstellung „Philosophie des Pazifismus in Zeiten des Krieges“. Die Ausschreibung stellt fest, im deutschsprachigen Raum sei in den letzten zwanzig Jahren mit wenigen Ausnahmen keine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Pazifismus zu erkennen (außerhalb des deutschsprachigen Raums gäbe es mehr Veröffentlichungen).
Die Menschen, die sich qua Definition, weil sie eben Philosoph*innen sind, mit dem „Streben nach Erkenntnis über den Sinn des Lebens, das Wesen der Welt und die Stellung des Menschen in der Welt“ (Definition des Begriffs Philosophie „Oxford Languages) auseinandersetzen sollen, denken also nicht über einen Welt nach, in der Konflikte „ohne jeglichen Krieg gelöst und auf Rüstung und militärische Ausbildung verzichtet wird“.
Wie kann das sein, dass Pazifismus nicht ständig bedacht und besprochen wird und keine große Lobby hat? Wieso werden Verfechter der Gewaltfreiheit wie Gandhi und Nelson Mandela verehrt, ohne dass das Auswirkungen auf die Struktur unserer Politik und Gesellschaft hätte?
Als im Juli 1945 die erste Probebombe in der Wüste von New Mexico gezündet wird und also funktioniert, wird gefeiert. Das Team aus Wissenschaftler*innen und Militär stößt darauf an, dass die Menschheit eine Waffe gefunden hatte, mit der sie sich nun selbst vernichten kann.
Mehr als 150.000 Menschen wirkten direkt oder indirekt am Manhattan Project mit. Es kostete 2 Milliarden US-Dollar. Bis Ende 1945 starben 214.000 Menschen unmittelbar oder an den Spätfolgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima (6. August 1945) und Nagasaki (9. August 1945). In Hiroshima wurden beim Bombenangriff 90% der Ärzt*innen bzw. des Krankenhauspersonals getötet und 42 der 45 Krankenhäuser vernichtet.
Ich schreibe einer Freundin: Dagegen kann man nur anlieben.
Die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin bell hooks (1952 – 2021) veröffentlichte 2000 ihr Buch „All about Love“, das in Deutschland 2023 in der 6. Auflage in der Reihe „Neue Sichtweisen“ bei HarperCollins mit dem Titel „alles über liebe“ erschienen ist.
hooks will nicht weniger, als die Liebe auf eine neue Grundlage zu stellen und sie aus der kapitalistisch patriarchalen Deutungshoheit zu lösen. Sie lehnt sich an eine Definition des Psychiaters M. Scott Peck an, der 1978 schrieb:
Liebe ist das, was Liebe tut. Liebe ist ein Willensakt – nämlich sowohl eine Absicht als auch eine Handlung. Wollen beinhaltet auch eine Wahl. Wir müssen nicht lieben. Wir entscheiden uns zu lieben.
Daraus leitet hooks ab:
Um wirklich zu lieben, müssen wir lernen, verschiedene Elemente zu kombinieren – Fürsorge, Zuneigung, Anerkennung, Respekt, Hingabe und Vertrauen sowie eine ehrliche und offene Kommunikation.
Wo Liebe herrscht, gibt es keinen Machtwillen, stellte C.G. Jung fest. Wo Liebe herrscht, gibt es keine Furcht, lesen wir in der Bibel.
Und nein, die Liebe, die hier gemeint ist, hat nichts mit der rosaroten, manipulativen Angelegenheit zu tun, die uns Hollywood vorgaukelt.
Wenn wir als Gesellschaft eine Ethik der Liebe pflegten – Fürsorge, Zuneigung, Anerkennung, Respekt, Hingabe, Vertrauen, ehrliche und offene Kommunikation als Grundlage unseres Gemeinwesens, des Umgangs miteinander -, könnten wir nicht in einem Gleichgewicht des Schreckens leben.Dann könnten wir unsere Kinder nicht in Armut leben lassen. Dann würde nicht jeden 3. Tag eine Frau Opfer eines Mordes und nicht jeden 2. Tag Opfer eines Mordversuchs.
Als Gesellschaft sind wir weit davon entfernt, unsere Nächsten oder gar uns selbst zu lieben. Wir haben viel zu viel Angst. In 2022 fürchteten sich laut einer Umfrage zu den größten Ängsten der Deutschen die meisten vor einem Szenarium finanzieller Einbußen. Die fünf Spitzenplätze (51% bis 67%) waren alle Geld relevant.
Wenn wir immer denken, dass es nicht reicht, wo soll denn eine Liebe herkommen, die Hingabe und Vertrauen umschließt?
In kleinen, kleinen Schritten kann sie daherkommen. Wir können sie üben.
Zum Beispiel durch Naturerlebnisse, wie ich eingangs beschrieben habe. Das Wahrnehmen der natürlichen Welt, die mich umgibt, öffnet den Raum für die Erkenntnis, dass es etwas Größeres existiert, als mein kleines Leben, mit dem ich verbunden bin.
Bereits 2013 veröffentlichte die Psychologieprofessorin Barbara L. Fredrickson, Pionierin der Erforschung positiver Gefühle, ihre Forschungsergebnisse zur Biologie der Liebe „Love 2.0“. In 2023 ist das Buchin deutscher Übersetzung erschienen „Die Macht der Liebe: Ein neuer Blick auf das größte Gefühl“.
Fredrickson lädt die Leser*innen ein, alle gängigen Vorstellungen über Liebe hinter sich zu lassen, vor allem die, dass sie exklusiv sei im romantische, familiären oder freundschaftlichen Kontext.
Fredrickson erforschte, in welcher Weise Liebe Teil unserer Biologie ist und dass sie sich, sehr kurz gefasst, durch drei miteinander verbundenen Aspekte definieren lässt.
1. Das Teilen eines oder mehrere positiver Gefühle mit einem anderen Menschen.
2. Synchronizität zwischen der eigenen und der Biochemie einer anderen Person.
3. Eine bewusste Absicht, für das Wohlergehen der jeweils anderen Person zu sorgen.
In diesem Sinne verstanden, ist Liebe grundsätzlich in jeder Begegnung verfügbar. Wer ein Beispiel für so eine Begegnung nachlesen möchte, kann dies hier tun.
Die spirituelle Lehrerin und moderne Mystikerin Caroline Myss sagt, mit dem Eintritt ins Atomzeitalter habe auch ein neuer Abschnitt der menschlichen Entwicklungsgeschichte begonnen mit der Aufgabe, sich in einer Weise fortzuentwickeln, dass der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln unmöglich wird. Hin von einer Liebe zur Macht zur Macht der Liebe.
Kein*er kann alleine anlieben gegen Gewalt, Unterdrückung, Lüge. Doch wir können jeden Tag aufs Neue wieder die Entscheidung treffen, in dem Umfang, in dem es uns möglich ist, zu lieben. Außerhalb des engen Rahmens, den wir traditionell mit Lieben in Verbindung bringen.
Liebe ist eine Handlung. Sie kann darin bestehen, aufzuhören, schlecht über andere zu sprechen oder über Menschen zu schimpfen, die sich vermeintlich ungünstig verhalten haben.
Die Freundin, der ich schrieb, dagegen kann man nur anlieben, hatte mir einmal auseinander gesetzt, jede tiefe Beziehung oder Freundschaft beinhalte einen Vertrag, sich gegenseitig im Wachstum zu unterstützen.
M. Scott Peck betrachtete als Liebe die Bereitschaft, unser eigenes spirituelles Wachstum und das anderer zu nähren.
C. Myss spricht davon, das Leben diene dazu, sich gegenseitig zu „empowern“.
Liebe ist überall da vorhanden, wo wir in Beziehung gehen; und sei es eine kurze Begegnung auf der Straße, wo wir ein Lächeln austauschen.
Angebote, liebend in der Welt zu sein, gibt es genug. Wir brauchen nur eines auszusuchen, das uns gefällt und das leicht für uns ist.
Im ersten Schritt kann es ruhig leicht sein.
Was wäre das für eine Welt, wenn wir Menschen alle übten, zu lieben, was ist.
Ich radle durch abgeerntete Felder. Die Sonne wärmt mir den Rücken. Die Krone einer Eiche spendet prächtig ausladend Schatten. Sandbirken lassen ihr hängenden Zweige sanft von der Mittagsbrise bewegen.
An manchen Stellen ist der Teerbelag des schmalen Wirtschaftswegs aufgebrochen und aufgeworfen, meine Räder hoppeln über Berg und Tal. Heu, in rechteckige Ballen, gepresst, terrassenförmig gestapelt. Dort lege ich mich ins Gras. Grillen zirpen, Schmetterlinge gaukeln, Grashüpfer fliehen.
Ein perfekter Spätsommertag. Die Welt atmet ein und aus und ich höre ihr dabei zu. Noch ist der Mais nicht eingebracht. Durch den Regen der letzten Wochen hält sich das Grün länger als in den Vorjahren.
Es ist mittaglich still.
Als ich wieder zu Hause bin und von drinnen nach draußen blicke, sehe ich, wie golden sich das Licht in den Nachmittag hinein gewandelt hat. Ein perfekter Tag. Ein Innenhalten, bevor ein weiteres Mal die Erntemaschinerie angeworfen wird. Dann kommt schon bald die Zeitumstellung und, wenn wir Glück haben, schenkt uns der Oktober ein paar leuchtende Tage.
Vor ein paar Wochen sah ich im Kino den Film „Oppenheimer“, den der Regisseur Christopher Nolan auf Grundlage der Biographie „J. Robert Oppenheimer“ von Kai Bird und Martin J. Sherwin gedreht hat.
Ich kam etwas zerrupft wieder heraus. Gerade war der 78. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki vorbei.
Oppenheimer (1904 – 1967) hat die Atombombe zwar nicht im Alleingang entwickelt, doch mit seiner Grundlagenforschung und als Leiter des „Manhatten Projects“ viel dazu beigetragen, dass sie am Ende in der Welt war.
Im Film wird Prometheus erwähnt, der den Götter das Feuer stahl, um es den Menschen zu bringen. Er tat dies, obwohl er die Rache der Götter fürchten musste; und tatsächlich fiel die Strafe schrecklich aus. Zeus ließ Prometheus an einen Felsen schmieden, täglich kam ein Adler, fraß die Leber des Gefangenen und täglich wuchs die Leber nach. Der Schmiedegott Hephaistos, der den Befehl des Zeus ausführte, empfand zwar Mitgefühl, konnte sich allerdings Zeus nicht widersetzen.
Es hat Konsequenzen, die heilige Ordnung des Lebens zu stören, die von allen zu tragen sind.
Im englischen Original heißt die Biographie „American Prometheus“. Wie Prometheus leidet Oppenheimer an seinem Tun. Nach dem Krieg setzt er sich für Rüstungskontrolle ein.
„Was sollen wir von einer Kultur halten, die Ethik stets als essentiellen Teil des menschlichen Lebens betrachtet hat, die dann [aber] über die Möglichkeit, alles Leben auszulöschen, nicht anders sprechen zu können meint als in begriffen der Sachlogik und der Spieltheorie?“,
fragt er Kollegen, Politiker und das militärische Establishment, die die Verteidigung der USA vor allem auf Atomwaffen stützen wollen.
Das Feuer wieder einzufangen, ein Ding der Unmöglichkeit. Als hätte er nicht wissen können, was die Bombe im Stande wäre, anzurichten, als hätte er nicht wissen können, dass die politischen und militärischen Führer sie einsetzen würden, wäre sie erst einmal da.
Ich mache mir ein paar Notizen zum Film, um meine Erschütterung zu strukturieren. Was mich am stärksten packte: Zeugin zu sein des unbedingten Willens, den Gegner militärisch zu übertrumpfen und schließlich zu vernichten. Um jeden Preis. Um jeden Preis!
Besonders interessant an dieser absoluten Hingabe, die immer wieder befeuert wird durch die Angst, Hitler könne „die Bombe“ zuerst bekommen, ist eine Tatsache, auf die Robert Jungk in seinem bereits 1956 erschienen Buch „Heller als tausend Sonnen“ hinweist:
Die deutschen Kernphysiker Heisenberg und von Weizsäcker teilten den Nazis mit, das würde wohl nichts mit der Atombombe. Jungks Kommentar:
Es scheint paradox, daß die in einer säbelrasselnden Diktatur lebenden deutschen Kernphysiker, der Stimme ihres Gewissens folgend, den Bau von Atomwaffen verhindern wollten, während ihre Berufskollegen in den Demokratien, die keinen Zwang zu befürchten hatten, mit ganz wenigen Ausnahmen, sich mit aller Kraft und Energie für die neue Waffe einsetzen.
Die „Zeitschrift für Praktische Philosophie“ veröffentlicht Anfang 2023 einen „Call for Papers“ mit der Aufgabenstellung „Philosophie des Pazifismus in Zeiten des Krieges“. Die Ausschreibung stellt fest, im deutschsprachigen Raum sei in den letzten zwanzig Jahren mit wenigen Ausnahmen keine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Pazifismus zu erkennen (außerhalb des deutschsprachigen Raums gäbe es mehr Veröffentlichungen).
Die Menschen, die sich qua Definition, weil sie eben Philosoph*innen sind, mit dem „Streben nach Erkenntnis über den Sinn des Lebens, das Wesen der Welt und die Stellung des Menschen in der Welt“ (Definition des Begriffs Philosophie „Oxford Languages) auseinandersetzen sollen, denken also nicht über einen Welt nach, in der Konflikte „ohne jeglichen Krieg gelöst und auf Rüstung und militärische Ausbildung verzichtet wird“.
Wie kann das sein, dass Pazifismus nicht ständig bedacht und besprochen wird und keine große Lobby hat? Wieso werden Verfechter der Gewaltfreiheit wie Gandhi und Nelson Mandela verehrt, ohne dass das Auswirkungen auf die Struktur unserer Politik und Gesellschaft hätte?
Als im Juli 1945 die erste Probebombe in der Wüste von New Mexico gezündet wird und also funktioniert, wird gefeiert. Das Team aus Wissenschaftler*innen und Militär stößt darauf an, dass die Menschheit eine Waffe gefunden hatte, mit der sie sich nun selbst vernichten kann.
Mehr als 150.000 Menschen wirkten direkt oder indirekt am Manhattan Project mit. Es kostete 2 Milliarden US-Dollar. Bis Ende 1945 starben 214.000 Menschen unmittelbar oder an den Spätfolgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima (6. August 1945) und Nagasaki (9. August 1945). In Hiroshima wurden beim Bombenangriff 90% der Ärzt*innen bzw. des Krankenhauspersonals getötet und 42 der 45 Krankenhäuser vernichtet.
Ich schreibe einer Freundin: Dagegen kann man nur anlieben.
Die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin bell hooks (1952 – 2021) veröffentlichte 2000 ihr Buch „All about Love“, das in Deutschland 2023 in der 6. Auflage in der Reihe „Neue Sichtweisen“ bei HarperCollins mit dem Titel „alles über liebe“ erschienen ist.
hooks will nicht weniger, als die Liebe auf eine neue Grundlage zu stellen und sie aus der kapitalistisch patriarchalen Deutungshoheit zu lösen. Sie lehnt sich an eine Definition des Psychiaters M. Scott Peck an, der 1978 schrieb:
Liebe ist das, was Liebe tut. Liebe ist ein Willensakt – nämlich sowohl eine Absicht als auch eine Handlung. Wollen beinhaltet auch eine Wahl. Wir müssen nicht lieben. Wir entscheiden uns zu lieben.
Daraus leitet hooks ab:
Um wirklich zu lieben, müssen wir lernen, verschiedene Elemente zu kombinieren – Fürsorge, Zuneigung, Anerkennung, Respekt, Hingabe und Vertrauen sowie eine ehrliche und offene Kommunikation.
Wo Liebe herrscht, gibt es keinen Machtwillen, stellte C.G. Jung fest. Wo Liebe herrscht, gibt es keine Furcht, lesen wir in der Bibel.
Und nein, die Liebe, die hier gemeint ist, hat nichts mit der rosaroten, manipulativen Angelegenheit zu tun, die uns Hollywood vorgaukelt.
Wenn wir als Gesellschaft eine Ethik der Liebe pflegten – Fürsorge, Zuneigung, Anerkennung, Respekt, Hingabe, Vertrauen, ehrliche und offene Kommunikation als Grundlage unseres Gemeinwesens, des Umgangs miteinander -, könnten wir nicht in einem Gleichgewicht des Schreckens leben.Dann könnten wir unsere Kinder nicht in Armut leben lassen. Dann würde nicht jeden 3. Tag eine Frau Opfer eines Mordes und nicht jeden 2. Tag Opfer eines Mordversuchs.
Als Gesellschaft sind wir weit davon entfernt, unsere Nächsten oder gar uns selbst zu lieben. Wir haben viel zu viel Angst. In 2022 fürchteten sich laut einer Umfrage zu den größten Ängsten der Deutschen die meisten vor einem Szenarium finanzieller Einbußen. Die fünf Spitzenplätze (51% bis 67%) waren alle Geld relevant.
Wenn wir immer denken, dass es nicht reicht, wo soll denn eine Liebe herkommen, die Hingabe und Vertrauen umschließt?
In kleinen, kleinen Schritten kann sie daherkommen. Wir können sie üben.
Zum Beispiel durch Naturerlebnisse, wie ich eingangs beschrieben habe. Das Wahrnehmen der natürlichen Welt, die mich umgibt, öffnet den Raum für die Erkenntnis, dass es etwas Größeres existiert, als mein kleines Leben, mit dem ich verbunden bin.
Bereits 2013 veröffentlichte die Psychologieprofessorin Barbara L. Fredrickson, Pionierin der Erforschung positiver Gefühle, ihre Forschungsergebnisse zur Biologie der Liebe „Love 2.0“. In 2023 ist das Buchin deutscher Übersetzung erschienen „Die Macht der Liebe: Ein neuer Blick auf das größte Gefühl“.
Fredrickson lädt die Leser*innen ein, alle gängigen Vorstellungen über Liebe hinter sich zu lassen, vor allem die, dass sie exklusiv sei im romantische, familiären oder freundschaftlichen Kontext.
Fredrickson erforschte, in welcher Weise Liebe Teil unserer Biologie ist und dass sie sich, sehr kurz gefasst, durch drei miteinander verbundenen Aspekte definieren lässt.
1. Das Teilen eines oder mehrere positiver Gefühle mit einem anderen Menschen.
2. Synchronizität zwischen der eigenen und der Biochemie einer anderen Person.
3. Eine bewusste Absicht, für das Wohlergehen der jeweils anderen Person zu sorgen.
In diesem Sinne verstanden, ist Liebe grundsätzlich in jeder Begegnung verfügbar. Wer ein Beispiel für so eine Begegnung nachlesen möchte, kann dies hier tun.
Die spirituelle Lehrerin und moderne Mystikerin Caroline Myss sagt, mit dem Eintritt ins Atomzeitalter habe auch ein neuer Abschnitt der menschlichen Entwicklungsgeschichte begonnen mit der Aufgabe, sich in einer Weise fortzuentwickeln, dass der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln unmöglich wird. Hin von einer Liebe zur Macht zur Macht der Liebe.
Kein*er kann alleine anlieben gegen Gewalt, Unterdrückung, Lüge. Doch wir können jeden Tag aufs Neue wieder die Entscheidung treffen, in dem Umfang, in dem es uns möglich ist, zu lieben. Außerhalb des engen Rahmens, den wir traditionell mit Lieben in Verbindung bringen.
Liebe ist eine Handlung. Sie kann darin bestehen, aufzuhören, schlecht über andere zu sprechen oder über Menschen zu schimpfen, die sich vermeintlich ungünstig verhalten haben.
Die Freundin, der ich schrieb, dagegen kann man nur anlieben, hatte mir einmal auseinander gesetzt, jede tiefe Beziehung oder Freundschaft beinhalte einen Vertrag, sich gegenseitig im Wachstum zu unterstützen.
M. Scott Peck betrachtete als Liebe die Bereitschaft, unser eigenes spirituelles Wachstum und das anderer zu nähren.
C. Myss spricht davon, das Leben diene dazu, sich gegenseitig zu „empowern“.
Liebe ist überall da vorhanden, wo wir in Beziehung gehen; und sei es eine kurze Begegnung auf der Straße, wo wir ein Lächeln austauschen.
Angebote, liebend in der Welt zu sein, gibt es genug. Wir brauchen nur eines auszusuchen, das uns gefällt und das leicht für uns ist.
Im ersten Schritt kann es ruhig leicht sein.
Was wäre das für eine Welt, wenn wir Menschen alle übten, zu lieben, was ist.