Eines meiner Lieblingsmotive beim Fotografieren: Spiegelungen. In Spiegelungen verändern sich die Farben, erscheinen neue Formen, legen sich Ereignisse übereinander, werden verwobene Schichten sichtbar.
Spiegelungen sind Metaphern für das „tiefere Schauen“, ein Begriff den der Meditationsmeister Thich Nhat Hanh (1926 – 2022) geprägt hat. Tiefer schauen wir immer dann, wenn wir nicht hängen bleiben am ersten Blick, an der Oberfläche dessen, was sich ereignet.
Im Zug ist es voll. Ich frage einen Mann zwischen dreißig und vierzig, der intensiv mit seinem Handy beschäftigt ist, ob der Platz neben ihm, auf dem ein Rucksack steht, noch frei sei. Ich muss die Frage dreimal wiederholen, bevor er mich zur Kenntnis nimmt
Freundlich sage ich, der Zug sei so voll, es wäre schön, einen Sitzplatz zu haben. Der Mann stöhnt auf, seufzt, rollt die Augen, ist sichtlich genervt von meinem Anliegen, greift sich den Rucksack, stellt sich in den Gang, winkt mich zum Fensterplatz, ohne mich anzuschauen.
Soll ich durchrutschen?, frage ich gleichbleibend freundlich.
Der Mann sagt nix, macht nur eine vage Geste.
Ich rutsche durch, hole meinen Laptop aus der Tasche, fange an zu arbeiten, während der Mann neben mir weiterhin offensiv an der Störung seiner Privatsphäre leidet.
Ich denke, ich könnte mich ärgern. Oder mich schlecht fühlen. Weil der Mensch so unhöflich ist. (Und sicher kein zweites Ticket für seinen Rucksack gelöst hat). Weil er es mir schwer gemacht hat, einen Platz zu finden. Weil er gar nicht mehr aufhören kann mit der Demonstration seines Genervtseins.
Tatsächlich finde ich die Begegnung eher lustig. Nicht im Sinne von sich lustig machen. Mehr im Sinne der Erinnerung, unter welchen Umständen ich von der Gegenwart anderer genervt war. Weil ich meine Bequemlichkeit aufgeben musste. Weil ich plötzlich meinen Raum teilen musste. Weil ich manchmal einfach so finde, dass der Rest der Welt eine Zumutung ist.
Ich weiß nicht, warum der Mann sich so verhält, wie er sich verhält. Vielleicht hat ihn seine Freundin verlassen, vielleicht ist sein Kind krank, vielleicht hätte er gerne unbeobachtet ein bisschen geweint.
Ich freue mich, dass ich sitzen kann. Ich freue mich, dass ich mich nicht ärgere. Ich freue mich, dass mir das Verhalten dieses Mannes Gelegenheit gegeben hat, innezuhalten und tiefer zu schauen.
Das ist meine Anstiftung heute: In Situationen, in denen andere dich ärgern oder befremden, finde Möglichkeiten, tiefer zu schauen. Überlege, in welcher Weise du dich selbst im Verhalten des anderen Menschen entdecken könntest.
In diesem besonderen Moment der Verbindung ….. werdet ihr für einen kurzen Augenblick etwas Größeres als ihr selbst.“ Barbara L. Fredrickson
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Eines meiner Lieblingsmotive beim Fotografieren: Spiegelungen. In Spiegelungen verändern sich die Farben, erscheinen neue Formen, legen sich Ereignisse übereinander, werden verwobene Schichten sichtbar.
Spiegelungen sind Metaphern für das „tiefere Schauen“, ein Begriff den der Meditationsmeister Thich Nhat Hanh (1926 – 2022) geprägt hat. Tiefer schauen wir immer dann, wenn wir nicht hängen bleiben am ersten Blick, an der Oberfläche dessen, was sich ereignet.
Im Zug ist es voll. Ich frage einen Mann zwischen dreißig und vierzig, der intensiv mit seinem Handy beschäftigt ist, ob der Platz neben ihm, auf dem ein Rucksack steht, noch frei sei. Ich muss die Frage dreimal wiederholen, bevor er mich zur Kenntnis nimmt
Freundlich sage ich, der Zug sei so voll, es wäre schön, einen Sitzplatz zu haben. Der Mann stöhnt auf, seufzt, rollt die Augen, ist sichtlich genervt von meinem Anliegen, greift sich den Rucksack, stellt sich in den Gang, winkt mich zum Fensterplatz, ohne mich anzuschauen.
Soll ich durchrutschen?, frage ich gleichbleibend freundlich.
Der Mann sagt nix, macht nur eine vage Geste.
Ich rutsche durch, hole meinen Laptop aus der Tasche, fange an zu arbeiten, während der Mann neben mir weiterhin offensiv an der Störung seiner Privatsphäre leidet.
Ich denke, ich könnte mich ärgern. Oder mich schlecht fühlen. Weil der Mensch so unhöflich ist. (Und sicher kein zweites Ticket für seinen Rucksack gelöst hat). Weil er es mir schwer gemacht hat, einen Platz zu finden. Weil er gar nicht mehr aufhören kann mit der Demonstration seines Genervtseins.
Tatsächlich finde ich die Begegnung eher lustig. Nicht im Sinne von sich lustig machen. Mehr im Sinne der Erinnerung, unter welchen Umständen ich von der Gegenwart anderer genervt war. Weil ich meine Bequemlichkeit aufgeben musste. Weil ich plötzlich meinen Raum teilen musste. Weil ich manchmal einfach so finde, dass der Rest der Welt eine Zumutung ist.
Ich weiß nicht, warum der Mann sich so verhält, wie er sich verhält. Vielleicht hat ihn seine Freundin verlassen, vielleicht ist sein Kind krank, vielleicht hätte er gerne unbeobachtet ein bisschen geweint.
Ich freue mich, dass ich sitzen kann. Ich freue mich, dass ich mich nicht ärgere. Ich freue mich, dass mir das Verhalten dieses Mannes Gelegenheit gegeben hat, innezuhalten und tiefer zu schauen.
Das ist meine Anstiftung heute: In Situationen, in denen andere dich ärgern oder befremden, finde Möglichkeiten, tiefer zu schauen. Überlege, in welcher Weise du dich selbst im Verhalten des anderen Menschen entdecken könntest.
In diesem besonderen Moment der Verbindung ….. werdet ihr für einen kurzen Augenblick etwas Größeres als ihr selbst.“
Barbara L. Fredrickson
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