Anstiftung zur Freude #100      

Ich habe regelmäßig das Gefühl, nicht genug zu arbeiten. Mein Kopf berichtet mir von ellenlangen Listen, die es abzuarbeiten gilt und ich bekomme Schnappatmung.

Am Ende erledige ich nichts, sondern lenke mich mit tausend nebensächlichen Dingen ab. Mit irgendwas rumzudaddeln oder uralte Krimiserien anzuschauen, macht die Listen, deren Inhalte tatsächlich meiner Aufmerksamkeit bedürften, nicht kürzer. Der innere Druck nimmt zu.

Was macht der psychologisch geschulte Mensch in so einer Situation?

Paradoxe Intervention!

Die Idee dahinter ist, das Gegenteil von dem zu tun, was der „richtige“ Weg scheint. Zum Beispiel ich mit meiner Verweigerungshaltung müsste mich einfach ein bisschen zusammenreißen. Ich weiß ja aus Erfahrung, wenn ich Punkte auf meinen Listen abhaken kann, freue ich mich sehr. Trotzdem ist mir klar geworden, wenn ich etwas von den Dingen erledige, die ich ungerne in Angriff nehme (Buchhaltung!), habe ich mich eher spielerisch überlistet, als konsequent streng einen Plan eingehalten.

Der britische Pädagoge A.S. Neill (1883-1973), der in den 1920ziger Jahren die berühmte Reformschule Summerhill gründete, ermutigte zum Beispiel ein Kind, das in einem Ladengeschäft gestohlen hatte, dort gemeinsam mit ihm noch mehr zu stehlen.

Ein anderer Reformpädagoge, Homer Lane (1875-1925), der im Strafvollzug arbeitete, forderte einen Jugendlichen auf, nachdem er das Geschirr zertrümmert hatte, nun auch noch seine Uhr zu zertrümmern.

Tatsächlich ist in sogenannten schweren Fällen der Erfolg paradoxer Interventionen größer als der üblicher pädagogischer oder psychologischer Interventionen.

Was mache ich also mit einem schweren Fall wie mir?  Ich kaufe ein Deutschlandticket und beschließe, wenn immer möglich, am Mittwoch frei zu nehmen und mit dem Zug einen Tagesausflug zu unternehmen.

Natürlich wird die Arbeit nicht erledigt, wenn ich nicht am Schreibtisch sitze. Allerdings helfen mir die Ausflüge bei meiner Struktur. Sie machen mich glücklich, ich genieße das Gefühl vollkommener Freiheit. Wenn ich ans Meer fahren möchte und der Zug ausfällt, fahre ich halt einfach in die andere Richtung.

Ich beobachte, ich schreibe, ich denke, ich plane, ich fotografiere. Wieder zu Hause bin ich so erfüllt, dass mein Elan ausreicht, unangenehme Dinge in Angriff zu nehmen.

Meine Listen schrumpfen. Mein Fazit: Wir brauchen viel mehr Paradoxie, Gegenbewegung zum Druck, zum Schneller, Weiter, Mehr, um uns aufzutanken und mit mehr Energie und Freude ans Tagwerk zu gehen.

Das ist meine Anstiftung für diese Woche: Finde deine paradoxen Interventionen. Was wäre die Gegenbewegung zu dem, was dir schwerfällt oder dich belastet? Wie kannst du dir mehr Freiraum verschaffen und mehr Freude empfinden?  

Schreib in den Kommentar, was du gefunden hast!

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Comments (2)

  1. Andrea Kuschmann

    Liebe Eva,

    ich brauche etwas Freude in meinem Leben. Ich habe viele Gründe wütend und traurig zu sein – es ist aber wichtig einen „Gegengewicht“ zu finden, eine kleine Anleitung dazu den Anfang zu machen – die Freue in meinem Leben zu finden, wieder zu finden.

    Nachdem ich kleines Buch in einer Büchertelefonzelle gefunden und mitgenommen habe, habe ich schon etwas darin gestöbert habe und auf Ihre Homepage gelandet bin. Die Meditation für schwierige Gefühle habe ich schon ausprobiert und es hat gut getan ein Gefühl wirklich anzuschauen und „es wie eine Mutter Ihr Kind“ zu umarmen.

    Ich bin zur Zeit sehr einsam, habe nur wenig Kontakt zu anderen Menschen und oft allein mit all den Gefühlen, die Ihren Raum brauchen. Zum Glück arbeite ich mit einer wunderbaren Therapeutin und mein kleiner Hund „Bonny“ hält mich im hier und jetzt.

    • Liebe Andrea, danke für deine Gedanken! Ich freue mich, dass du auf der Spur der Freude unterwegs bist und dir schon selbst helfen konntest. Es ist auch sehr wichtig, gute Unterstützung zu haben. Tiere sind so wichtige Gefährten. Ich weiß das, ich habe eine Katze, die mich vor ein paar Jahren adoptierte :-)!
      herzliche Grüße
      Eva

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