Das ist ein Freitagsbrief, der aus der Reihe tanzt, der nicht geplant war und mir vor die Füße fiel, so dass ich stolperte und meine Pläne umstellte, ein Brief, der am falschen Tag erscheint und sich damit entschuldigt, ein paar Weihnachtsfunken im Beutel zu haben:
Vorweihnachtszeit und ich habe so viel freien Raum, keine Termine, aus unterschiedlichen Gründen sitze ich inmitten eines häuslichen Chaos. Ich fülle die Tage damit, Dinge in eine Ordnung hineinzustellen, Dinge aus einer Unordnung herauszunehmen und bin erstaunt, dass ich mich gar nicht gräme, dass ich sehr langsam und auch mit Genuss das Außen sortiere und das Innen.
Anfang der Woche war ich in Berlin und lief in der Ausstellung des koreanisch-japanischen Künstlers Lee Ufan (*1936) im Hamburger Bahnhof herum. Ufan wurde in den 1960iger Jahren berühmt als Vertreter der Mono-ha Bewegung.
Mono-ha heißt: Schule der Dinge.
Ein Wandtext der Kurator*innen fasst zusammen:
„Lee Ufan positioniert Objekte in einem Raum und bringt die sie umgebende Leere zur Geltung. Seine Installationen machen … die Wechselbeziehung zwischen dem eigenen Dasein im Raum, den Objekten und der Leere um sie herum bewusst“.
Die Objekte, die Ufan im Raum positioniert, sind von ihm gestaltete Formen aus Stahl, oder auch Leinwände mit minimalistischen, seriell angeordneten Pinselabdrucken. Dazu arrangiert er oft einen Gegenstand aus der Natur, meist Steine.
Die Steine sind natürlich nicht irgendwelche Steine. Zuerst hat der Künstler sie ausgewählt und ist mit ihnen in Beziehung gegangen, dann gehe ich mit ihnen in Beziehung, und all die anderen, die vor ihnen stehen, um sie herumgehen, sie im Feld der Dinge und der Leere auf sich wirken lassen.
Die Leere um die Dinge herum. Vielleicht nehme ich mit meiner Aufräumarbeit eher Bezug auf die Lücken, die frei sind, und weniger auf die Haufen von Zeugs. Die Leere ist das, aus dem wir und alles, was uns umgibt, bestehen, wenn man uns und die Welt auf das kleinste Teilchen herunterbricht. Da ist nichts, sagen die Physiker*innen. Da ist nichts, sagen seit alters her spirituelle Lehrer*innen.
Mein Denken und Arbeiten kreist viel um Raum. Raum als Ausdrucksform, Raum als Möglichkeit, ein Resonanzfeld zu sein, ein Rahmen, innerhalb dessen Menschen in Beziehung gehen können zu den Gedanken und Gefühlen, die meine Texte vielleicht anstoßen und auslösen. Im Grunde ist das auch in Beziehung gehen zu mir, während ein Teil von mir in Beziehung geht zu denen, die lesen, nachspüren, nachdenken.
Ufan hat die Thematik des In-Beziehung-Gehens in viele seiner Arbeiten hineingenommen, die alle den Titel „Relatum“ tragen. Das aus dem Lateinischen stammende Wort heißt – „Beziehung“.
Ich spaziere in der Ausstellung herum und denke an Weihnachten, wie wir uns alle finden und anders arrangieren, anders In-Beziehung-Gehen über die Feiertage. Reisen zu Eltern, Schwiegereltern, Freund*innen, Reisen in die Ferne, Reisen in sich hinein. Auch: Reisen in die Vergangenheiten.
Der Geist der vergangenen Weihnachten.
Meine Großeltern hatten einen Christbaumständer, der sich drehte und drei Weihnachtslieder abspielte. Mein Großvater hängte hinter der verschlossenen Tür Sternwerfer an den Baum, die er mit den Kerzen zusammen anzündete. Endlich durfte ich den Raum betreten und da sah ich den strahlenden, sprühenden, singenden und tanzenden Baum.
Dies Bild ist für mich die Seele meiner persönlichen Weihnacht. Die Fülle. Das Licht. Die Stille, die herrschte, obwohl die Spieluhr spielte und die Sternwerfer knisterten. Das Wunder, dem ich gegenüberstand. Denn genau diesen Baum in seiner ganzen Pracht hatte das Christkind gebracht.
In dieser Erinnerung bin ich verbunden mit zahlreichen Bildern, die Christi Geburt zeigen, die ich im Laufe meines Lebens in Museen betrachtete habe.
Die Tradition dieser Darstellung geht zurück bis ins 12. Jahrhundert. Als ich darüber lese,finde ich ein Bild von Hugo van der Goes aus dem 15. Jahrhundert. Da trägt die Gottesmutter im Zentrum des Bildes ein wundervolles, stoffreiches Kleid, gefärbt in diesem herrlichen Muttergottesblau, alle Anwesenden verharren in Ehrfurcht vor dem Kind, das vollkommen nackt und ungeschützt auf dem Boden liegt. Und ich denke nur: Was ist denn mit euch los? Zieht doch dem Kind was an! Und denke an die Kinder, die frieren und hungern in der Welt.
Über Raum und Zeit hinweg verbunden mit denen, die am Rand stehen, die ausgeschlossen sind, ist das nicht der Kern der Botschaft Christi?
Ufan hat dem Thema des Über-die-Zeit-Verbunden-Seins einen ganzen Ausstellungsraum gewidmet. Den Boden bedecken weiße Kiesel, darauf eingebettet eine lange Stahlplatte, poliert und glänzend wie eine Wasseroberfläche. Zwei große Steine neigen sich an den gegenüberliegenden Ufern zueinander, je nach Stand der Betrachterin spiegeln sie sich im „Bachlauf“, in dem sich, je nach Stand, die Betrachterin ebenfalls spiegelt.
An der Wand hängt ein Selbstporträt Rembrandt van Rjins (1606 – 1669), das ihn mit einer flotten Mütze zeigt, als jungen Menschen, der nachdenklich blickt. Ich stelle mir vor, er schaut in seine Zukunft hinein, von der er vielleicht ahnte, wie weit sie reichen würde. Im 21. Jahrhundert schaut er noch immer in seine Zukunft und wird gesehen von mir; und von Lee Ufan, der über seine Begegnung mit Rembrandts Selbstbildnissen sagt:
….
Aus unermesslichen Tiefen der Dunkelheit tauchen sie auf. Und doch haftet ihnen ein wundersames Leuchten an, nicht von außen, sondern von innen. Ein Leuchten aus den Tiefen des Gesichts, den Tiefen der Menschheit und den Tiefen der Erde. Es ist der Ruf des Lebens …
Weihnachten schenkt uns drei Feiertage. Ein Fest, das viel und Viele in Bewegung bringt, doch im Grunde den Raum vorhält, immer wieder mit der Stille und der Leere in Beziehung gehen zu können, um das Leuchten aus den Tiefen des Seins zu sehen und den Ruf des Lebens zu vernehmen.
“We are destined to travel through the dark, but we always arrive at the Light. Always. That is how the holy structure of life has been scripted.”
(Unser Schicksal ist es, durch die Dunkelheit zu reisen, doch wir kommen immer beim Licht an. Immer. Das ist in der heiligen Struktur des Leben vorgesehen).
Schreibt Caroline Myss.
Auch Rembrandt hat eine Geburtsszene gemalt. Sie ist sehr dunkel, das Licht der einzigen Laterne schwach. Das Kind aber leuchtet.
Das Kind leuchtet aus der Tiefe heraus.
Sei ein Licht, tragen verschiedene spirituelle Traditionen den Menschen auf.
Das ist für mich der Geist von Weihnachten. Dass wir daran denken, ein Licht zu sein in und mit dem, was wir tun. „Jauchzet, frohlocket“ beginnt das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach und Paukenschläge unterstreichen die Freude; und den Auftrag.
Die Weihnachtsgeschichte ist eine freudige Geschichte, Weihnachten der passende Rahmen, freudige Geschichten jeglicher Art weiterzuerzählen. Mir wurden schon die unterschiedlichsten Geschichten geschickt, immer wieder bin ich ergriffen und berührt von Worten oder Musik, die plötzlich in meinem Postkasten landen.
Eine Freundin stöbert in einem alten Poesiealbum und findet ein paar Sätze, die Schwester Brunhild ihr vor über 40 Jahren hineingeschrieben hat. Als ich sie frage, ob ich das zitieren darf, ob sie oder Schwester Brunhild etwas dagegen hätten, antwortet sie, Schwester Brunhild würde sich freuen, wenn wir die Samen, die sie vor langer Zeit legte, noch einmal in den Weltenwind hineinwürfen.
„Freude ist Gebet, Freude ist Liebe. Freude ist ein Netz von Liebe, mit dem man Seelen fangen kann. Gott liebt den fröhlichen Geber, am meisten gibt, wer mit Freude gibt. Ein fröhliches Herz ist i.d.R. das Ergebnis eines Herzens, das vor Liebe brennt.“
In diesem Sinne wünsche ich allen ein weihnachtliches Herz, das vor Liebe brennt und Samen der Freude, der Freundlichkeit, des Mitgefühls versprüht wie ein Sternwerfer seine Funken. Auf dass sie andere entzünden.
Das ist ein Freitagsbrief, der aus der Reihe tanzt, der nicht geplant war und mir vor die Füße fiel, so dass ich stolperte und meine Pläne umstellte, ein Brief, der am falschen Tag erscheint und sich damit entschuldigt, ein paar Weihnachtsfunken im Beutel zu haben:
Vorweihnachtszeit und ich habe so viel freien Raum, keine Termine, aus unterschiedlichen Gründen sitze ich inmitten eines häuslichen Chaos. Ich fülle die Tage damit, Dinge in eine Ordnung hineinzustellen, Dinge aus einer Unordnung herauszunehmen und bin erstaunt, dass ich mich gar nicht gräme, dass ich sehr langsam und auch mit Genuss das Außen sortiere und das Innen.
Anfang der Woche war ich in Berlin und lief in der Ausstellung des koreanisch-japanischen Künstlers Lee Ufan (*1936) im Hamburger Bahnhof herum. Ufan wurde in den 1960iger Jahren berühmt als Vertreter der Mono-ha Bewegung.
Mono-ha heißt: Schule der Dinge.
Ein Wandtext der Kurator*innen fasst zusammen:
„Lee Ufan positioniert Objekte in einem Raum und bringt die sie umgebende Leere zur Geltung. Seine Installationen machen … die Wechselbeziehung zwischen dem eigenen Dasein im Raum, den Objekten und der Leere um sie herum bewusst“.
Die Objekte, die Ufan im Raum positioniert, sind von ihm gestaltete Formen aus Stahl, oder auch Leinwände mit minimalistischen, seriell angeordneten Pinselabdrucken. Dazu arrangiert er oft einen Gegenstand aus der Natur, meist Steine.
Die Steine sind natürlich nicht irgendwelche Steine. Zuerst hat der Künstler sie ausgewählt und ist mit ihnen in Beziehung gegangen, dann gehe ich mit ihnen in Beziehung, und all die anderen, die vor ihnen stehen, um sie herumgehen, sie im Feld der Dinge und der Leere auf sich wirken lassen.
Die Leere um die Dinge herum. Vielleicht nehme ich mit meiner Aufräumarbeit eher Bezug auf die Lücken, die frei sind, und weniger auf die Haufen von Zeugs. Die Leere ist das, aus dem wir und alles, was uns umgibt, bestehen, wenn man uns und die Welt auf das kleinste Teilchen herunterbricht. Da ist nichts, sagen die Physiker*innen. Da ist nichts, sagen seit alters her spirituelle Lehrer*innen.
Mein Denken und Arbeiten kreist viel um Raum. Raum als Ausdrucksform, Raum als Möglichkeit, ein Resonanzfeld zu sein, ein Rahmen, innerhalb dessen Menschen in Beziehung gehen können zu den Gedanken und Gefühlen, die meine Texte vielleicht anstoßen und auslösen. Im Grunde ist das auch in Beziehung gehen zu mir, während ein Teil von mir in Beziehung geht zu denen, die lesen, nachspüren, nachdenken.
Ufan hat die Thematik des In-Beziehung-Gehens in viele seiner Arbeiten hineingenommen, die alle den Titel „Relatum“ tragen. Das aus dem Lateinischen stammende Wort heißt – „Beziehung“.
Ich spaziere in der Ausstellung herum und denke an Weihnachten, wie wir uns alle finden und anders arrangieren, anders In-Beziehung-Gehen über die Feiertage. Reisen zu Eltern, Schwiegereltern, Freund*innen, Reisen in die Ferne, Reisen in sich hinein. Auch: Reisen in die Vergangenheiten.
Der Geist der vergangenen Weihnachten.
Meine Großeltern hatten einen Christbaumständer, der sich drehte und drei Weihnachtslieder abspielte. Mein Großvater hängte hinter der verschlossenen Tür Sternwerfer an den Baum, die er mit den Kerzen zusammen anzündete. Endlich durfte ich den Raum betreten und da sah ich den strahlenden, sprühenden, singenden und tanzenden Baum.
Dies Bild ist für mich die Seele meiner persönlichen Weihnacht. Die Fülle. Das Licht. Die Stille, die herrschte, obwohl die Spieluhr spielte und die Sternwerfer knisterten. Das Wunder, dem ich gegenüberstand. Denn genau diesen Baum in seiner ganzen Pracht hatte das Christkind gebracht.
In dieser Erinnerung bin ich verbunden mit zahlreichen Bildern, die Christi Geburt zeigen, die ich im Laufe meines Lebens in Museen betrachtete habe.
Die Tradition dieser Darstellung geht zurück bis ins 12. Jahrhundert. Als ich darüber lese, finde ich ein Bild von Hugo van der Goes aus dem 15. Jahrhundert. Da trägt die Gottesmutter im Zentrum des Bildes ein wundervolles, stoffreiches Kleid, gefärbt in diesem herrlichen Muttergottesblau, alle Anwesenden verharren in Ehrfurcht vor dem Kind, das vollkommen nackt und ungeschützt auf dem Boden liegt. Und ich denke nur: Was ist denn mit euch los? Zieht doch dem Kind was an! Und denke an die Kinder, die frieren und hungern in der Welt.
Über Raum und Zeit hinweg verbunden mit denen, die am Rand stehen, die ausgeschlossen sind, ist das nicht der Kern der Botschaft Christi?
Ufan hat dem Thema des Über-die-Zeit-Verbunden-Seins einen ganzen Ausstellungsraum gewidmet. Den Boden bedecken weiße Kiesel, darauf eingebettet eine lange Stahlplatte, poliert und glänzend wie eine Wasseroberfläche. Zwei große Steine neigen sich an den gegenüberliegenden Ufern zueinander, je nach Stand der Betrachterin spiegeln sie sich im „Bachlauf“, in dem sich, je nach Stand, die Betrachterin ebenfalls spiegelt.
An der Wand hängt ein Selbstporträt Rembrandt van Rjins (1606 – 1669), das ihn mit einer flotten Mütze zeigt, als jungen Menschen, der nachdenklich blickt. Ich stelle mir vor, er schaut in seine Zukunft hinein, von der er vielleicht ahnte, wie weit sie reichen würde. Im 21. Jahrhundert schaut er noch immer in seine Zukunft und wird gesehen von mir; und von Lee Ufan, der über seine Begegnung mit Rembrandts Selbstbildnissen sagt:
….
Aus unermesslichen Tiefen der Dunkelheit tauchen sie auf. Und doch haftet ihnen ein wundersames Leuchten an, nicht von außen, sondern von innen. Ein Leuchten aus den Tiefen des Gesichts, den Tiefen der Menschheit und den Tiefen der Erde. Es ist der Ruf des Lebens …
Weihnachten schenkt uns drei Feiertage. Ein Fest, das viel und Viele in Bewegung bringt, doch im Grunde den Raum vorhält, immer wieder mit der Stille und der Leere in Beziehung gehen zu können, um das Leuchten aus den Tiefen des Seins zu sehen und den Ruf des Lebens zu vernehmen.
“We are destined to travel through the dark, but we always arrive at the Light. Always. That is how the holy structure of life has been scripted.”
(Unser Schicksal ist es, durch die Dunkelheit zu reisen, doch wir kommen immer beim Licht an. Immer. Das ist in der heiligen Struktur des Leben vorgesehen).
Schreibt Caroline Myss.
Auch Rembrandt hat eine Geburtsszene gemalt. Sie ist sehr dunkel, das Licht der einzigen Laterne schwach. Das Kind aber leuchtet.
Das Kind leuchtet aus der Tiefe heraus.
Sei ein Licht, tragen verschiedene spirituelle Traditionen den Menschen auf.
Das ist für mich der Geist von Weihnachten. Dass wir daran denken, ein Licht zu sein in und mit dem, was wir tun. „Jauchzet, frohlocket“ beginnt das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach und Paukenschläge unterstreichen die Freude; und den Auftrag.
Die Weihnachtsgeschichte ist eine freudige Geschichte, Weihnachten der passende Rahmen, freudige Geschichten jeglicher Art weiterzuerzählen. Mir wurden schon die unterschiedlichsten Geschichten geschickt, immer wieder bin ich ergriffen und berührt von Worten oder Musik, die plötzlich in meinem Postkasten landen.
Eine Freundin stöbert in einem alten Poesiealbum und findet ein paar Sätze, die Schwester Brunhild ihr vor über 40 Jahren hineingeschrieben hat. Als ich sie frage, ob ich das zitieren darf, ob sie oder Schwester Brunhild etwas dagegen hätten, antwortet sie, Schwester Brunhild würde sich freuen, wenn wir die Samen, die sie vor langer Zeit legte, noch einmal in den Weltenwind hineinwürfen.
„Freude ist Gebet, Freude ist Liebe. Freude ist ein Netz von Liebe, mit dem man Seelen fangen kann. Gott liebt den fröhlichen Geber, am meisten gibt, wer mit Freude gibt. Ein fröhliches Herz ist i.d.R. das Ergebnis eines Herzens, das vor Liebe brennt.“
In diesem Sinne wünsche ich allen ein weihnachtliches Herz, das vor Liebe brennt und Samen der Freude, der Freundlichkeit, des Mitgefühls versprüht wie ein Sternwerfer seine Funken. Auf dass sie andere entzünden.
Fröhliche, freudige Weihnachten.
Und Friede auf Erden allen Menschen.
Herzlich
Eva Scheller
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