Unser Lateinlehrer war vor allem ein Philosoph. In der griechischen Antike fühlte er sich noch mehr zu Hause als im alten Rom. Er war dicklich, rosig, mit etwas längerem grau-weißen Haar, und eine Mitschülerin war der festen Überzeugung, man könne ihn nicht fotografieren, weil er ein echter alter Römer sei, der nur als Geist unter uns weilte.
Wegen dieses Lehrers belegte ich Leistungskurs Latein. Ich hatte das Glück, dass wir den für das Abitur ausgewählten Text schon einmal in einer Klausur hatten übersetzen müssen. Denn ich war nur mäßig begabt als Lateinschülerin.
Heute erinnere ich mich vor allem an die Abbildungen in den Lateinbüchern. Aufrechte weiße Marmorgestalten mit Muskeln und sorgfältig ondulierten Haaren. Die klare weiße Linie, die Monochromie als das antike Schönheitsideal.
Überall lässt sich das bewundern. Auch am Münchner Königsplatz, dessen Architekt Leo von Klenze den reinen Hellenismus nach Bayern verpflanzen wollte.
Dabei sind wir alle einer Fälschung aufgesessen. Dr. M., der Lehrer, höchstwahrscheinlich auch.
Schuld daran ist Johann Joachim Winckelmann, der vor 305 Jahren in Stendal geboren wurde. Winckelmann gilt als Begründer der wissenschaftlichen Archäologie und der Kunstgeschichte.
Er setzte die Behauptung in die Welt, die griechische Architektur sei, ebenso wie die griechische Plastik, weiß gewesen. Für die nächsten Jahrhunderte war die Rezeptionsgeschichte griechischer Leistungen sozusagen im Kasten. Denn Winckelmann schrieb über seine Erkenntnisse umfangreich und für Zeitgenossen wie Nachfahren überzeugend.
Im Zeitalter der Aufklärung waren die alten Griechen ein gutes Rollenmodell. Schlichtheit, Schönheit und Klarheit. Etc. Winckelmanns Lob der griechischen Demokratie und der größeren Originalität griechischer Kunst gegenüber römischem Despotismus und römischer Plastik beruhte allerdings auf einem zweifachen Irrtum:
Die griechische Demokratie war eine Veranstaltung einer kleinen (männlichen) Elite, an der die überwiegende Bevölkerung nicht partizipierte. Und was Winckelmann auf Reisen in Griechenland als Beispiele für den Primat griechischer gegenüber römischer Bildhauerkunst fand, waren tatsächlich durch die Bank römische Kopien. (Nietzsche hat sich 100 Jahre später darüber lustig gemacht).
Die Kunstgeschichte musste sich lange nach Winckelmann sehr mühsam von seiner These, die Aufgabe der Kunst sei es, die Schönheit darzustellen, befreien. „Edle Einfalt und stille Größe.“
Ich glaube, auch heute schwingt noch ein bisschen Winckelmann mit, wenn Menschen beim Anblick moderner Kunst sagen: „Das kann ich / meine Tochter/ Enkelin / mein Neffe etc. auch“.
Und was hat es mit diesen hehren weißen Statuen und dem bayerischen Hellenismus in München auf sich?
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Unser Lateinlehrer war vor allem ein Philosoph. In der griechischen Antike fühlte er sich noch mehr zu Hause als im alten Rom. Er war dicklich, rosig, mit etwas längerem grau-weißen Haar, und eine Mitschülerin war der festen Überzeugung, man könne ihn nicht fotografieren, weil er ein echter alter Römer sei, der nur als Geist unter uns weilte.
Wegen dieses Lehrers belegte ich Leistungskurs Latein. Ich hatte das Glück, dass wir den für das Abitur ausgewählten Text schon einmal in einer Klausur hatten übersetzen müssen. Denn ich war nur mäßig begabt als Lateinschülerin.
Heute erinnere ich mich vor allem an die Abbildungen in den Lateinbüchern. Aufrechte weiße Marmorgestalten mit Muskeln und sorgfältig ondulierten Haaren. Die klare weiße Linie, die Monochromie als das antike Schönheitsideal.
Überall lässt sich das bewundern. Auch am Münchner Königsplatz, dessen Architekt Leo von Klenze den reinen Hellenismus nach Bayern verpflanzen wollte.
Dabei sind wir alle einer Fälschung aufgesessen. Dr. M., der Lehrer, höchstwahrscheinlich auch.
Schuld daran ist Johann Joachim Winckelmann, der vor 305 Jahren in Stendal geboren wurde. Winckelmann gilt als Begründer der wissenschaftlichen Archäologie und der Kunstgeschichte.
Er setzte die Behauptung in die Welt, die griechische Architektur sei, ebenso wie die griechische Plastik, weiß gewesen. Für die nächsten Jahrhunderte war die Rezeptionsgeschichte griechischer Leistungen sozusagen im Kasten. Denn Winckelmann schrieb über seine Erkenntnisse umfangreich und für Zeitgenossen wie Nachfahren überzeugend.
Im Zeitalter der Aufklärung waren die alten Griechen ein gutes Rollenmodell. Schlichtheit, Schönheit und Klarheit. Etc. Winckelmanns Lob der griechischen Demokratie und der größeren Originalität griechischer Kunst gegenüber römischem Despotismus und römischer Plastik beruhte allerdings auf einem zweifachen Irrtum:
Die griechische Demokratie war eine Veranstaltung einer kleinen (männlichen) Elite, an der die überwiegende Bevölkerung nicht partizipierte. Und was Winckelmann auf Reisen in Griechenland als Beispiele für den Primat griechischer gegenüber römischer Bildhauerkunst fand, waren tatsächlich durch die Bank römische Kopien. (Nietzsche hat sich 100 Jahre später darüber lustig gemacht).
Die Kunstgeschichte musste sich lange nach Winckelmann sehr mühsam von seiner These, die Aufgabe der Kunst sei es, die Schönheit darzustellen, befreien. „Edle Einfalt und stille Größe.“
Ich glaube, auch heute schwingt noch ein bisschen Winckelmann mit, wenn Menschen beim Anblick moderner Kunst sagen: „Das kann ich / meine Tochter/ Enkelin / mein Neffe etc. auch“.
Und was hat es mit diesen hehren weißen Statuen und dem bayerischen Hellenismus in München auf sich?
Die Götter und Helden waren bunt!
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