Anstiftung zur Freude #53

Kürzlich zerriss ich den Saum meiner grünen Hose mit dem Schuhabsatz. Ich grüble noch immer, wie ich das angestellt habe. Ich sollte den Saum hochnähen. Stattdessen hängt die Hose weiterhin ungetragen im Schrank.

Als Kind musste ich den Nähkurs an meiner Schule belegen. Als Teenager und Studentin erlebte ich Nähabenteuer und war mit Begeisterung bei der Sache. Ich kaufte Stoffe und Schnitthefte und plante an den Wochenenden Nähprojekte. Ich experimentierte, erfand kühne Kombinationen, tauschte Tipps und Schnitte mit Freundinnen.

Sehr beliebt war es damals, Jeanshosen zu Röcke umzunähen. Eigentlich mochte ich Jeans lieber, doch natürlich brauchte auch ich so einen Rock. Das war keine einfache Angelegenheit. Die Hosenbeine mussten mühsam aufgetrennt und vorne und hinten mit einem Zwickel aus einem andere Stoff versehen werden.

Das dicke Material brachte es mit sich, dass die Nadel der Nähmaschine öfter brach. Ein ärgerlicher Vorgang. Vor allem, wenn die Nadel am Sonntag ihren Dienst einstellte und keine Ersatznadel im Haus war.

Zerbrochene Nadeln werden ruck-zuck weggeworfen. Schicksal eines Verschleißgegenstandes.

Anders in Japan. Dort findet seit 400 Jahren am 8. Februar Hari Kuyo statt, die Nadelmesse. Mit dieser Zeremonie ehren Kimonoschneiderinnen und andere Künstler*innen des Fadens die im Laufe des vergangenen Jahrs zerbrochenen Nadeln. Auf einem Schrein steht ein großer Block Tofu. Dort werden die Nadeln hineingesteckt.

Der Brauch hat mich zum Nachdenken gebracht über unseren Umgang mit den Dingen, die nicht allzu teuer und leicht ersetzbar sind.

Sind wir ihnen dankbar? Bauen wir ihnen einen Schrein? Nein.

Dabei wären wir aufgeschmissen ohne die vielen Kleinigkeiten, die unser Leben erleichtern. (Und natürlich auch ohne all die größeren Dinge).

Glühbirnen, Zündhölzer, Haarnadeln, Zahnbürsten, Hausschlüssel, Socken, Nagelscheren. Die Liste ist lang.

Gebrauchsgegenstände sind hervorragende Objekte zum Üben von Dankbarkeit. Dankbarkeit ist eine Schwester der Freude. Sie pflanzt die Samen von Wertschätzung und öffnet unser Herz für das, was auf den ersten Blick nicht der Rede wert ist.

Ich habe angefangen, mich bei meiner Teetasse, meinem Auto, meiner Bettwäsche zu bedanken, um ein paar Beispiele zu nennen, weil ich mich freue, dass sie in meinem Leben sind. Weil sie mir das Leben angenehm machen. Weil ohne sie alles schwieriger wäre. Weil ich den menschlichen Geist bewundere, der sich das alles ausgedacht hat.

Wohin sollte ich den Tee füllen, wenn ich kein Trinkgefäß hätte und wie käme ich von A nach B, wenn es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, und was hielte mich nachts warm?

Das ist meine Anstiftung für diese Woche: Schreib eine Liste von Gegenständen in deinem Haushalt, die dir regelmäßig gute Dienste leisten. Finde mindestens einmal am Tag einen Grund, dich bei einem dieser Gegenstände zu bedanken. Vielleicht findest du das zu Beginn albern. Beobachte, ob sich das verändert. Vielleicht stiftest du deine Kinder oder Freund*innen an, bei der Aktion mitzumachen.

Lass einen Kommentar hier auf meinem Blog.

Wenn dir die Anstiftung ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat, kannst du mich auf einen Kaffee einladen über meine virtuelle Kaffeekasse. Das zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Die Kaffeekasse steht auf der Plattform ko-fi.com. Kofi verschenkt nicht nur einen freundlichen Regen von Herzen und Tassen an die Spendenden. Sondern nimmt keine Gebühren für Spenden. #freundlicheökonomie

Comments (4)

  1. Marlis Lamers

    Liebe Eva,
    wie schön, dass ich nicht alleine bin mit meiner Dankbarkeit gegenüber Dingen des täglichen Bedarfs. Ich bedanke mich sehr häufig bei meinem schönen Autos, dass es mich so sicher an jedes Ziel fährt. Oder bei meiner Kaffeemaschine, dass sie trotz des hohen Alters immer noch wunderbar, duftenden Kaffee filtert.
    Ich räume gerade extrem auf, da ich umziehe. Es gibt so unendlich viele Dinge, die ich mir ein letztes Mal dankbar ansah und sie dann verschenkte, verkaufte oder tatsächlich entsorgte.
    In Momenten, wenn Dinge kaputt sind oder aus anderen Gründen nicht funktionieren, wird mir bewusst, wie sehr ich sie im Alltag brauche und schätze.
    Mittlerweile überlege ich dennoch mehr als einmal, ob ich dieses oder jenes teil wirklich, wirklich brauche.
    Weniger ist mehr und ich komme mit dem dankbar Sein auch besser nach.

    • Eva Scheller

      Liebe Marlis, sehr herzlichen Dank, dass du auf meinen Blog gekommen bist. Danke auch für die vielfältigen Gedanken um die Dankbarkeit herum. Ich sitze auch oft in meinem Auto und bedanke mich, weil ich finde, es ist ein Wunder, dass es so etwas überhaupt gibt, eine Transportmaschine auf vier Rädern.
      Sehr gerne mag ich deine Anmerkung, mit weniger Dingen kommst du mit dem Dankbarsein hinterher. Wenn wir eine Beziehung zu den Dingen haben, brauchen wir Zeit. Das ist wie mit der Pflege menschlicher Beziehungen. Ich habe letztens darüber nachgedacht, dass ich den Dingen, die ich besitze, gar nicht gerecht werde. Ein Aussortieren ist angesagt.
      Ich wünsche dir gutes Gelingen beim Verabschieden vom alten Lebensrahmen, und ein freudiges Ankommen im Neuen.
      Herzliche Grüße
      Eva

  2. Ach ja, wie schön, liebe Eva!
    Meine Mutter – sie gehörte der der Kriegsgeneration an – war wohl dankbar für jedes Detail, mit dem man etwas nähen konnte. Ich finde an verschiedenen Stellen (vor allem in ihren alten Nähkörbchen) Mini-Ketten. Sie hatte alle Perlen, die sie so fand zu kleinen, bunten Ketten aufgefädelt. Einfach so. Man kann sie für nix benutzen, sie sind einfach nur hübsch.
    Vor einiger Zeit habe ich daher kleine Schatzkästchen angelegt, in denen ich diese Kettchen und andere „kostbare“ Dinge aufbewahre. Manchmal öffne ich sie und freue mich über diese glitzernden Schätze. Und komme mir vor, wie im Märchen.
    Schatz gefunden!

    • Eva Scheller

      Liebe Ele, wie schön, du hast einen Kommentar hinterlassen! Vielen Dank für die berührende Geschichte vom Nähkörbchen deiner Mutter, die kleinen Schätze, die darin waren und nun in deinem Schatzkästchen liegen. Sie hat sich bestimmt einfach gefreut an diesem Besitz. So wie du.

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