In London

Ich stehe in der National Portrait Gallery (NPG) in der Schlange vor den Toiletten. Männer kommen mir entgegen. Ich bin verwirrt und frage die Frau hinter mir, ob das nicht die Frauentoilette sei. Sie sagt, sie haben sie zusammengelegt.

Die NPG wurde drei Jahre lang umgebaut, dabei herausgekommen sind  „Unisex“ Toiletten und ich werde zu Waldorf und Statler, den mürrischen Alten der Muppet Show. Ich mag keine Veränderungen.

Vor dem Umbau kam ich in die NPG wie in ein vertrautes Riesenwohnzimmer. Ich wusste, wo meine Lieblingsporträts hängen. Wo ich die jährliche Fotoporträt Ausstellung finde. Jetzt muss ich suchen und ich könnte schwören, so voll ist es früher auch nicht gewesen.

Ich flüchte vor dem Ansturm ins tiefste Untergeschoss und finde mich unvermittelt inmitten von acht Porträts der Schauspielerin Judi Dench wieder, die im Lauf der Zeit für die TV Show „Artist of the Year“ angefertigt worden sind.

Das Bild der Malerin Christabel Blackburn zieht mich besonders in Bann. Es scheint unvollständig ausgeführt. Dench sitzt in einem Sessel, ihr Gesicht sehr lebendig, ihr Gewand hellgrau, Sitzmöbel, Fuß, Ellenbogen scheinen zu verschwinden, die Bleistiftskizze ist sichtbar, doch die Farbe fehlt. In dem Festhalten des Ausdrucks zu einem bestimmten Zeitpunkt für alle Ewigkeit ist die Veränderung, die Auflösung schon angelegt.

Die Sitzende wird die Beine anders übereinander schlagen, ihre Hände anders arrangieren, aufstehen, fortgehen, ihr Mittessen zubereiten, an bestimmte Ereignisse in ihrem Leben denken, sich im Spiegel betrachten und einen ganz anderen Gesichtsausdruck an sich finden, zunehmen, abnehmen usw..

Wir sind keine greifbare Oberfläche, wir sind nicht festgezurrt in aller Stattlichkeit, wie sich Heinrich VIII. auf dem berühmten Bild von Hans Holbein (das ein paar Stockwerke höher hängt) präsentiert, wir sind nicht unverrückbar.

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