Entscheidungen

Ich frage mich, ob ich mir Sorgen machen muss. Ein Zahn bricht mir ab, als ich auf ein Stück Walnuss beiße. Meinem Vater ist das letztens auch passiert, ohne Nuss, aber er ist 30 Jahre älter als ich. Dann fällt mir der Name meiner Zahnärztin nicht ein. Na ja, ich geh da noch nicht so lange und eher selten hin. Trotzdem ist es etwas beunruhigend, dem eigenen Gedächtnis mit einer alten Rechnung auf die Sprünge helfen zu müssen. Dabei weiß ich: im Stresszustand ist der Zugang zu den Informationen im Hippocampus (= Gedächtnisspeicher des Gehirns) eingeschränkt. Und mich hat das schon ziemlich gestresst, dass plötzlich nur noch ein halber Zahn da ist.

Eigentlich wollte ich über Entscheidungsfindungsprozesse schreiben, also darüber, wie wir Entscheidungen treffen. Wenn ich es recht bedenke, passt der Zahnzwischenfall ganz gut ins Thema. Sich durchbeißen gehört in den Entscheidungsbereich ebenso wie der Spruch: Den Zahn werd ich dir schon noch ziehen. Entscheidungen haben Folgen und kosten ihren Preis. Die spirituelle Lehrerin Caroline Myss sagt, jede Entscheidung ist von Bedeutung für das große Ganze. Auch wenn sie noch so klein ist. Die Messlatte liegt somit ziemlich hoch.

Ich erinnere mich an eine Freundin aus der Jura-Studienzeit, die mein Dilemma der Wahl zwischen zwei Männern tabellarisch lösen wollte. Sie drückte mir Stift und Papier in die Hand und wies mich an, jedem Kerl zwei Spalten zuzuweisen. Pro und Contra. Ich hatte auch keine bessere Idee, doch schien mir der Vorschlag hochgradig absurd. Ein juristischer Lösungsansatz für eine Herzensangelegenheit. Wie soll das denn gehen?

Nach der Schule habe ich länger nicht gewusst, was ich mit meinem Leben anstellen wollte. Ja, ich hatte einen Plan. Der mir logisch und sinnvoll schien. Der Plan hatte nur nicht berücksichtigt, dass ich für den auserwählten Berufsweg genauso wenig geeignet war wie die Tabelle für die Liebe. Ich hatte mir eine Lebensidee skizziert, über die ich logisch sprechen konnte. Die ich mit den Idealen eines idealen Lebens zimmerte. Die Idee hatte nur nichts mit mir und meinen Bedürfnissen zu tun.

Der Plan sah zum Beispiel vor, dass ich nicht studierte. Dabei ist mein Geist verrückt nach Lernen. Sich messen. Sich Neues erschließen. Gewinnen wollen war auch ein Thema. Wie gut, dass ich am Ende im Jurastudium gelandet bin. Und sogar promoviert wurde.

Überraschung: mir ist das richtig leicht gefallen. Juristisch zu denken braucht eine bestimmte Synapsen Struktur. Ich weiß nicht, woher ich die hatte. Jedenfalls war sie da und wollte benutzt werden.  

Natürlich habe nicht gewusst, dass ich im juristischen Denken gut sein könnte. Warum ich es trotzdem versuchte? Ich folgte einem Impuls. Ich hatte eine Geschichte über Ungerechtigkeit gehört, die mich empörte. Ich beschloss, das Rechtssystem zu verstehen, das so eine Ungerechtigkeit zulässt.

Die wenigsten Menschen beginnen deshalb ein Studium. Ich folgte der Spur meiner Idee. Sie blieb nämlich. Aus der Rückschau kann ich sagen, Gedanken, die bleiben sind es regelmäßig wert, umgesetzt zu werden.

Ich folge immer wieder Impulsen, die nicht unbedingt logisch oder sinnvoll scheinen. Das beginnt damit, dass mir ein Gedanke vor die Füße fällt. Ich hebe ihn auf und bewege ihn hin und her.

Inneres Szenario in etwa:

Gedanke: Du solltest dies und jenes tun.
Ich: Echt jetzt?
Gedanke: Ja.
Ich: Warum?
Gedanke: Wie fühlt es sich an?
Ich: Ziemlich reizvoll.
Gedanke: Eben.

Letztens bin ich wieder so einem Impuls gefolgt. Es ging nur um die Abendgestaltung, nicht um die Wahl eines Berufs oder die Kündigung meines Praxisraums.

Also fahre ich am frühen Abend zu einem Vortrag ein paar Dörfer weiter. Das Thema gehört nicht zu meinem Kerngebiet. Es interessiert mich nicht einmal besonders. Eine Freundin hat mich auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht. 

Ich habe ein Auge auf die Felder links und rechts (Rehe und andere Wildtieren) und denke, weil ich mich wundere, dass ich mich auf den Weg gemacht habe: wahrscheinlich wollte ich einfach wieder mal raus.

Ich liebe Webinare. Trotzdem: wieder einmal, mit Anmeldung und Eingangskontrolle und Maske, in einem Raum sitzen mit anderen. Mit einem leibhaftigen Referenten. In the middle of nüscht.

Den Vortrag hält ein pensionierter Arzt. In Hollywood würde er einen deutschen Offizier geben. Er wurde sozialisiert in seinem Beruf zu einer Zeit, als Ärzte Männer und Götter in Weiß waren. Ein bisschen erinnert er mich an Curd Jürgens, falls den noch ein*er kennt…..

Der Referent spricht über Nahtoderlebnisse. NTE. Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten.

Sein Thema hat er vor ca. 50 Jahren als junger Assistenzarzt gefunden. Er reanimierte einen Patienten, der ihm von seinen Erlebnissen im Hirntodzustand berichtete. Das wurde (und wird) an der Universität nicht gelehrt. Das hat ihn innehalten lassen.

Mich packt er gleich zu Beginn mit diesem persönlichen Erlebnis.

Warum kann er mich packen? Weil mich die Frage beschäftigt, wie wir unser Lebensthema finden. Wie wir auf die Spur dessen gebracht, geworfen oder geführt werden, das uns antreibt, beflügelt. Wie wir also grundlegende Entscheidungen treffen.

Ich glaube, die Spur, wo es für uns hingehen könnte, zeigt sich früh. Oft wird sie verloren. Irgendwann kommt sie zurück. Meist in der Form einer Verstörung. Etwas zerbricht. Oder Menschen werden aus der Bahn geworfen, weil der gewählte Pfad nicht zu dem passt, was auf sich aufmerksam macht.

Der Referent erzählt nebenbei, bis vor 10 Jahren sei er ein totaler Agnostiker gewesen. Was damals passierte, erzählt er uns nicht. Aber da steht er und verliert für ein paar Sätze seine wissenschaftliche Contenance.

Im Publikum sitzen Skeptiker, Menschen, die eine NTE erlebt hatten und solche, die es einfach in diese Veranstaltung geweht hat (ich).

Was uns am Ende alle bewegt: ein übereinstimmendes Merkmal von NTE ist das Erlebnis unfassbarer universeller Liebe. Neu verliebt sein. Sich auf das erste Date freuen. Vielhundertfach potenziert.

Der Referent fragt: „Kann das, was wir tun, vor der Liebe Bestand haben?“ und fährt fort, das sei die einzig relevante Frage im Leben. Alles andere: unerheblich.

Ich verlasse beschwingt den Saal, trete in die Vollmondnacht und weiß, warum ich meinem Impuls gefolgt bin. Ich bin hier hergekommen, um erinnert zu werden, dass ich jede meiner Handlungen daran messen möchte, ob sie vor der Liebe Bestand hat.

Deshalb folge ich der Spur der Freude. Weil die Verbindung zur Freude vor der Liebe Bestand hat. Weil meine Inspirationen für andere liebevolle Blicke auf die Welt ermöglichen. Weil ich schon ganz früh wusste, das ist mein Weg. Weil ich über alle Verstörungen hinweg diesen Weg wieder gefunden habe.

Meine Formel fürs Entscheidungsfinden (und für das Leben schlechthin) sind ab sofort zwei Fragen. 1. Freut mich das? 2. Hat das vor der Liebe Bestand?

Diese beiden Fragen lassen sich auf alle Bereiche anwenden. Ja, auch im Beruf. Denn Entscheidungen sind Beziehungsarbeit. Sie formen unsere Beziehung zur Welt. Und die Beziehung zu uns selbst. Im Großen wie im Kleinen. Im Privaten wie beim Geldverdienen.

Was ist dein Weg? Wie hast du ihn gefunden? Freut er dich? Hat er vor der Liebe Bestand?

Ich würde mich freuen, wenn du mir schreibst, was du herausfindest.

Und gerade fällt mir noch ein, am Sonntag ist schon der 1. Advent. Spätestens jetzt beginnt der Weihnachtsgeschenkmarathon. Wenn du jemanden nachhaltig auf die Spur der Freude schicken möchtest, verschenke doch einen Gutschein für meinen nächsten Auf der Spur der Freude Kurs, der am Aschermittwoch 2022 beginnt. Hier kannst du nachlesen, worum es dabei geht und was Teilnehmerinnen über den Kurs sagen.

Viel Freude am Wochenende!

Herzliche Grüße

Eva Scheller